Die letzte Praline
Schokolade in Aalform zu gießen, und so lernte man sich kennen.«
»Das erklärt immer noch nicht, warum Sie Beatrice in der Chocolaterie gesucht haben! Es gab keinen Grund, warum sie gerade dort sein sollte.«
»Das sagen Sie nur, weil Sie die Bea nicht kennen … also kannten. Sie liebte die Schokoladenskulpturen, konnte sich gar nicht an ihnen sattsehen.«
»Im wahrsten Sinne des Wortes.«
Van der Elst lächelte gequält. »Genau, sie war oft in der Skulpturenhalle, immer schon, hatte ja bereits mehrere Jahre im Museum gejobbt, bevor sie zur Chocofee auserkoren wurde. Eigentlich ist sie damit ja nur das Gesicht einer Werbekampagne geworden, aber für sie war es wie eine Krönung. Als sie das damals erfuhr, ist sie auch in die Halle, hat sich auf einen Stuhl gesetzt und sich die Arbeiten von Fred de Vaele angeschaut. Das gab ihr irgendwie Ruhe. Na ja, und wo ich wegen der Pressekonferenz schon mal im Museum war, habe ich eben um die Ecke geguckt. Und sie gesehen … und das ist mir so auf den Magen … jetzt schon wieder …«
Hektisch öffnete er eine Dose mit Schokostreuseln und ließ sich den Großteil davon in den Mund rieseln.
»Sie kannten sich gut?«
»Seit sie ein Kind war. Es hat mich wahnsinnig gefreut, als sie Chocofee wurde. Aber das sollte ja nur eine Zwischenstation sein, sie war ja eigentlich Sängerin. War dieses Jahr Vierte bei ›Belgien sucht den Superstar‹ geworden und hatte einen Plattenvertrag bekommen. Sie wollte mit ihren 24 Jahren durchstarten.« Van der Elsts Blick haftete auf dem dunkel gekachelten Boden. »Ihr Vater hoffte dagegen, dass sie das Aalgeschäft übernehmen würde.«
»Oder zumindest über Aale singt.«
»Wieso sollte sie über Aale singen? Ach so! Ja, natürlich. Aber über Aale singt man nicht.«
Van der Elst blickte auf die Uhr. »Ich muss los, gleich beginnt die Vorbereitungszeit. Eine Stunde, oder?«
Bietigheim nickte. »Und keine Minute mehr!«
»Können Sie mir vielleicht einen Tipp geben, zu welchem Wein wir morgen eine Praline kreieren müssen? So einen klitzekleinen Hinweis? Aus Versehen? Sie können sich auch eine Tafel Schokolade mitnehmen. Gerne auch mehr!« Er zwinkerte.
Bietigheim hatte noch nie ein Schweinchen zwinkern sehen.
»Noch ein Bestechungsversuch, und Sie fliegen raus!«
»Ist ja gar keine Bestechung, nur Verpflegung. Der Mensch lebt nicht von Luft allein.« Van der Elst band sich die Schürze ab und griff nach einem in der Ecke bereitstehenden Alukoffer, den er stolz tätschelte. »Hier ist alles drin, was ich morgen benötige. Zwei Stunden sind zwar knapp, um alles vorzubereiten, aber ich kriege das hin. Für Belgien!« Mit stolz in die Höhe gerecktem Kopf öffnete er die Hintertür. »Lassen Sie uns lieber hier rausgehen, drinnen ist so viel los.«
Bietigheim folgte ihm schweigend in die enge Hintergasse. Doch mit einer Frage musste er seinem Hauptverdächtigen noch auf den Zahn fühlen. »Haben Sie denn auch Ihrem jungen Kollegen nahegelegt, dass er die Finger von Beatrice Reekmans lassen sollte?«
»Na klar, gestern Abend noch«, gab van der Elst ohne Umschweife zu. »Aber meinen Sie, so ein Schnösel schert sich darum? Bei denen zu Hause ist es doch ganz normal, Frauen auf den Pelz zu rücken.«
»In Island?«
»Wieso Island? Frankreich!«
»Frankreich?«
»Na, Pierre hat sie doch abgeschleppt. Und diesem hochwohlgeborenen Herrn traue ich nicht weiter, als ich spucken kann.«
Van der Elst spuckte.
Er schaffte es gerade vor die Spitze seines Schuhs.
Die 47 Glocken des Belfried spielten die Melodie zur Viertelstunde, als Bietigheim mit Benno und van der Elst den Grote Markt überquerte. Gestern in der Nacht noch leer, herrschte hier nun ein Gewusel wie in einem Ameisenhaufen. Rund um das 1887 im Gedenken an die Freiheitskämpfer Jan Breydel und Pieter de Coninck geschaffene Denkmal warteten Pferdekutschen auf Touristen mit zu viel Geld, vor den beiden Frittenbuden, die unzählige Saucen zur Auswahl boten, hatten sich lange Schlangen gebildet. Unaufhörlich klickten Fotoapparate und Handys, die Schönheit des Platzes in digitaler Form bannend. Dem Aussehen nach stammten die meisten Touristen aus Asien oder Schottland – viele stellten in Kilts ihre knubbeligen Knie zur Schau. Es gab wirklich Schöneres.
Und wenig Hässlicheres.
Die erste Runde der Weltmeisterschaft wurde im prächtigen, gotischen Saal des Rathauses ausgefochten. Geschmückt war dieser mit Wandmalereien aus dem 19. Jahrhundert, die den
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