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Die letzte Praline

Die letzte Praline

Titel: Die letzte Praline Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carsten Sebastian Henn
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verrutscht war und die nun von Passanten beruhigt wurde, aus dem Spitzengeschäft direkt in Emile van der Elsts Rad gelaufen. Der junge Belgier stieg nicht mehr auf, sondern schob sein Fahrrad nun um die Ecke in Richtung Burgplatz.
    Pit musste parken.
    Es dauerte viel zu lange, bis er es konnte.
    Als er endlich auf dem Platz ankam, war Emile van der Elst schon nicht mehr zu sehen.
    Aber sein Mountainbike.
    Festgemacht an einem Laternenpfahl vor der Heilig Bloedbasiliek, dem, wie Pit wusste, ältesten Gebäude der Stadt. Eingezwängt in der Ecke des quadratischen Platzes, wirkte die reich verzierte und geradezu orientalisch anmutende kleine Kirche wie ein Fremdkörper, der sich wegen seiner Andersartigkeit verschämt versteckte. Innen dagegen präsentierte sich die Basilika als dunkler, romanischer Bau mit winzigen Seitenschiffen und einer schwarzen Marmortafel im Altarraum. Bemerkenswert war eine Wendeltreppe, die in die eigentliche Heilig-Blut-Kapelle emporführte, welche im 19.   Jahrhundert im spätgotischen Stil erbaut worden war. Sie war das weiße Yang zum schwarzen Yin unter ihr, mit bunten Glasfenstern, farbigen Säulen und beeindruckenden Wandmalereien. Ein prachtvoller Rahmen für den größten Schatz Brügges: die Reliquie des Heiligen Blutes.
    Da Pit sich ausnehmend gerne mit allem, was mit Blut zu tun hatte, beschäftigte, hatte ein Besuch hier ohnehin auf seiner Must-see-Liste gestanden. Wunderbar, war das schon mal abgehakt. Automatisch ging er gemessenen Schrittes und setzte seine schweren Stiefel möglichst lautlos auf den gekachelten Fußboden.
    Das vermeintliche Blut Christi befand sich in einer Flasche aus Bergkristall, die in einem mit zwei goldenen Krönchen verschlossenen Glaszylinder ruhte, welcher wiederum in einem silbernen Tabernakel in einer Seitenkapelle aufbewahrt wurde. Sicher war sicher. Sie war nur zu bestimmten Zeiten zu sehen – und die musste Emile van der Elst gekannt haben, denn er saß in der ersten Reihe, als sie nun hervorgeholt wurde.
    Pit setzte sich ganz nach hinten.
    Obwohl er wusste, dass die Legende, nach der Graf Diederik aus dem Elsass nach seinen Kreuzzügen einige Tropfen des Heiligen Blutes mit auf den Weg nach Flandern nahm, vermutlich völlig falsch war und das da vorne bestimmt nicht das Blut Jesu Christi, hatte es etwas Erhebendes, ja Bewegendes, der Prozession zu folgen. Als wäre die rote Flüssigkeit tatsächlich ein Gottesbeweis, als gäbe es wirklich mehr als nur die paar Jährchen auf Mutter Erde.
    Nachdem der Glasbehälter wieder weggeschlossen war, drehte sich van der Elst plötzlich um und sah Pit direkt in die Augen. Dann kam er auf ihn zu, setzte sich in die Bank vor ihm und drehte sich mit verschwörerisch gesenktem Kopf um.
    »Sie wissen es, oder? Deshalb sind Sie hier«, raunte der junge Chocolatier.
    Pit hatte keine Ahnung, was Emile meinte. Aber er nickte vorsichtshalber. »Ja, ich weiß es.«
    »Ihr Professor, der ermittelt in der Mordsache, oder? Ich habe in der Zeitung gelesen, dass er das schon mal gemacht hat, also als Privatmensch einen Fall gelöst. Ich dachte immer, so was gäbe es gar nicht.«
    »Manchmal denke ich auch, so was wie den Professore gäbe es nicht.« Pit lachte auf. »Aber glaub mir, Junge, der ist echt keine Fata Morgana.«
    Emile lehnte sich weiter zu Pit. »Ich erzähl Ihnen alles, und Sie finden Beas Mörder, ja?«
    »Lass uns nach unten gehen. Der Drachen da vorne guckt schon so, spuckt bestimmt gleich Feuer.« Die alte Frau blickte ihn an, als sei der Antichrist mal kurz auf Besuch vorbeigekommen und würde gleich die Horden der Hölle in Brügge aufmarschieren lassen.
    Sie gingen die Wendeltreppe nach unten, setzten sich in der dunklen Kapelle in eine Bank ganz am Rand und sprachen nur noch sehr leise. So, dass die Horden der Hölle nicht geweckt wurden.
    »Ich komme immer hierher, wenn sie das Blut zeigen. Dann fühle ich mich Bea nahe. Das soll nicht krank klingen, aber sie ist ermordet worden, also, na ja, blutig gestorben. Und deshalb bete ich hier für sie. Denn das zwischen Bea und mir war echt, das war Liebe, die ist immer stärker und stärker geworden ist. Aber so richtig begreift man erst, wie wichtig einem ein Mensch ist und wie viel man für ihn fühlt, wenn man ihn verloren hat. Weil der andere Schluss gemacht hat oder …«
    »… oder stirbt.«
    Emile van der Elst nickte. »Ihre Eltern durften nichts wissen. Deshalb haben wir uns heimlich getroffen. Offiziell stand sie Fred de Vaele stundenlang

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