Die letzte Prophezeiung: Thriller (German Edition)
irischen Jungspund erinnern, der vor allen Studenten aufstand, um mir zu widersprechen.«
Liam breitete die Arme aus.
»Und wer hatte recht?«, fragte Molteni.
»Du«, gab Liam zu. »Aber wenn einer zwanzig ist, muss er alles zur Diskussion stellen.«
Molteni näherte sich ihm und legte ihm eine Hand auf die Schulter. »Siehst du, Liam, heute dagegen musst du mir vertrauen. Ohne Diskussion. Ich habe eine schwere Aufgabe. Und ich brauche dich.«
Sie sahen einander an. Einen Moment lang erkannte Liam im Blick seines alten Lehrers und Mentors etwas Neues: Angst.
Das Glöckchen über der Tür, das plötzlich ertönte, ließ Molteni zusammenfahren. Er brauchte einen Augenblick, um sich zu fangen, dann schaute er auf die Uhr.
»Wir sind spät dran.«
»Wir?«
»Bitte, komm für ein paar Minuten mit ins Hotel, es ist gleich hier um die Ecke. Danach werden wir Gelegenheit haben zu sprechen, in aller Ruhe.«
Liam lächelte: Molteni würde sich nie ändern. »Worum geht es? Eine deiner üblichen telefonischen Verabredungen?«
Der Professor zuckte die Achseln und ging mit dem Buch in Händen Richtung Tür. »Ich gehe bezahlen«, sagte er.
»Weißt du was, vor einigen Jahren hat man eine wundersame Erfindung gemacht: das schnurlose Telefon«, juxte der andere, um die angespannte Atmosphäre zu zerstreuen.
Molteni blieb auf der Schwelle stehen und sagte lächelnd: »Teufelswerk.«
Er ging geradewegs in den Hauptraum zum Verkäufer, Liam folgte ihm in einigem Abstand und blieb mit neugierigem Blick an einer Serie alter Drucke hängen, die die
Ara Pacis Augustae
, den Friedensaltar des Augustus, darstellten.
Molteni unterschrieb einen Scheck und gab dem Händler eine Karte. »Schicken Sie es bitte an diese Adresse.«
Er holte einen Füllfederhalter aus der Jackentasche, öffnete das Buch und schrieb einige Worte auf das Frontispiz, ohne sich um die bestürzte Miene des Antiquars zu scheren.
Liam nahm diese Szene aus dem Augenwinkel wahr, vom anderen Zimmer aus. Er hatte das vage Gefühl, dass irgendetwas daran nicht stimmte, aber erst viele Stunden später würde er begreifen, was.
»Gehen wir«, sagte Molteni und schaute erneut auf die Uhr.
4
Ort: London
Weltzeit: Dienstag, 23. Juni, 9.48 Uhr (GMT)
Ortszeit: 10.48 Uhr
Beim dreizehnten Läuten, auf das keine Reaktion kam, packte Alanna die Wut, und sie schleuderte das schnurlose Telefon aufs Sofa. Dann setzte sie sich auf die Kante und seufzte beunruhigt.
Sie nahm das Telefon wieder zur Hand und versuchte erneut, die Nummer in Dublin zu wählen. Die Leitung war immer frei, aber das wollte nicht viel heißen. Sie fing an, ruhelos im Zimmer herumzugehen. Sie warf einen Blick auf das Foto im Regal: In einem Silberrahmen war ein lächelndes Paar zu sehen, Arm in Arm, um die sechzig, er mit dunklem Teint und schwarzen Augen, sie mit makellos milchweißer Haut und einer derart hellblauen Iris, dass sie durchsichtig schien. Vater und Mutter. Es wirkte wie das Bild einer Werbekampagne für die ethnienübergreifende Liebe. Beim sechsten Läuten sprang der Anrufbeantworter an.
Ein Stich fuhr aus ihrem Magen durch den ganzen Leib. Inzwischen waren es drei Tage, dass sie erfolglos versuchte, ihren Exmann David zu erreichen, sowohl über das Handy wie über das Festnetz. Und was das Büro anging, da hatte man ihn seit Freitag nicht gesehen, ohne dass er sich abgemeldet hätte.
Alanna trat zum Spiegel und kontrollierte, ob die Anspannung auch in ihrem Gesicht Spuren hinterlassen hatte. Nurzwei leichte Tränensäcke, obwohl sie sich die ganze Nacht schlaflos im Bett gewälzt hatte.
Auch wenn sie sich vor über einem Jahr getrennt hatten, war es noch nie vorgekommen, dass sie so lange nichts voneinander gehört hatten. Um genau zu sein, meldete er sich seit ein paar Monaten beinahe täglich, voller Reue und mit der klaren Absicht, sie zurückzuerobern, trotz der Distanz: sie in London, er in Dublin. Dann plötzlich dieses lange Schweigen. Nicht einmal ihre E-Mails hatte er beantwortet, ein weiteres Indiz, dass etwas nicht stimmte, denn ihr Exmann lebte praktisch in Symbiose mit der Computertastatur.
Alanna nahm wieder das Telefon und rief David auf dem Handy an. Diesmal war es ausgeschaltet.
Keine Frage, es war etwas passiert. Er schaltete es nie aus, auch nachts nicht oder während der allerwichtigsten Besprechungen, wo er einfach nur den Klingelton abstellte.
Schließlich entschied sie, dass sie schon allzu lange gezögert hatte. Sie suchte den Palm in ihrer
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