Die letzte Prophezeiung: Thriller (German Edition)
Stille, einer erfüllten Stille, wie im Innern einer ländlichen Kapelle.
Er schaute auf die Uhr: kurz nach halb elf. Komisch, dass Molteni noch nicht da war. Der Professor, der sich mit ihm hier verabredet hatte, rühmte sich immer seiner Pünktlichkeit.
Aus einer Seitentür tauchte ein Buchhändler in mittleren Jahren auf. Er trug weiße Handschuhe und hielt einen Band in Händen, den er vor Liam auf das Lesepult legte. Er führte diese Operation mit einer Behutsamkeit aus, als hätte er eine Seifenblase zu transportieren.
»Dies ist es«, sagte er feierlich.
Liam Brine runzelte verblüfft die Brauen: »Aber ich warte nur auf … Ich habe nichts bestellt.«
»Professor Molteni hat uns genau instruiert: Wenn er kommt, bringen Sie ihm das Buch.«
Nach diesen Worten verabschiedete sich der Angestellte und verschwand.
Liam betrachtete den Einband des Werkes: eine Oktavausgabe der Apokalypse des Johannes. Er zog sich ebenfalls ein Paar der Handschuhe über, die zur freien Verfügung auf dem Tresen lagen, und blätterte in den ersten Seiten. Es war eine Ausgabe aus dem späten 18. Jahrhundert, auf der einen Seite der griechische Text und daneben die italienische Übersetzung. Er klappte das Buch wieder zu, prüfte den Buchrückenund schlug es erneut auf, an der Stelle, an der das Lesebändchen steckte.
Es waren die drei berühmtesten und rätselhaftesten Zeilen der ganzen Bibel. Er hatte sie immer derart prachtvoll gefunden, dass er Lust bekam, sie laut zu lesen: »Wer Verstand hat, der überlege die Zahl des Tieres; denn es ist die Zahl eines Menschen, und seine Zahl ist sechshundertsechsundsechzig.«
»Die Zahl des Antichristen«, überraschte ihn eine Stimme in seinem Rücken. »Eine Rechnung, die im Laufe der Jahrhunderte die verschiedensten Ergebnisse gezeitigt hat, und immer waren sie falsch: von Nero bis Hitler.«
Liam drehte sich um. »Du dagegen kannst sie richtig auslegen, stimmt’s?«
»Natürlich«, sagte Professor Molteni lächelnd.
Die beiden umarmten einander.
»Du siehst blendend aus«, sagte Liam, während er den Freund betrachtete. Tatsächlich sah er sich einem alerten Siebziger in Khakihosen und Tropenjacke gegenüber. In der offenen Hemdbrust sah man wie gewohnt den Ring, der an einem Kettchen baumelte. Das gebräunte Gesicht kontrastierte mit dem Weiß von Kopfhaar und Bart.
»Das scheint nur so, Liam«, antwortete Molteni ernst. »Diese schöne Farbe, Frucht meines alljährlichen Urlaubs in der Türkei, dient lediglich dazu, eine Menge Sorgen zu übertünchen.«
Liam Brine suchte in der Miene seines Freundes eine Spur Ironie, aber er fand sie nicht. »Was machst du hier in Rom?«
»Die offizielle Version ist, dass die Freunde der Kongregation für die Glaubensdoktrin mich ab und zu noch um Rat bitten«, erklärte Molteni zerstreut.
»Und die inoffizielle?«
»Es sieht gar nicht so aus«, fuhr der Professor fort, die Frage ignorierend, »aber die Welt ist immer noch voller Häresien.Die aufsehenerregendsten, wie die von Lefèvre und Milingo, landen in der Zeitung. Andere nicht, weil man eingreift, manchmal mit Entschiedenheit, manchmal diskret …« Er näherte sich dem Lesepult und hob das Buch mit bloßen Händen an.
Liam entging dieser Verstoß gegen die Gesetze des Ortes nicht, aber er sagte nichts.
»Und?«, fragte Molteni. »Was hältst du davon?«
»Ich weiß nicht, Andrea. Was steckt dahinter?«
»Eine jahrtausendealte Geschichte«, antwortete der Professor beiläufig, während er die Seiten umblätterte.
Liam lächelte. »Andrea«, sagte er, »du kommst nach Ewigkeiten wieder einmal nach Rom und bestellst mich zu einem Treffen, weil du meinen Rat zu einer Ausgabe der Apokalypse willst. Was weiß ich schon, was du nicht wüsstest? Außerdem hast du sowieso schon entschieden, dass du das Buch kaufst. Sonst hättest du Handschuhe angezogen.«
Er hielt inne, dann fragte er noch einmal im Flüsterton: »Was steckt dahinter?«
Molteni schlug das Buch zu und presste es an seine Brust, wodurch die Verstümmelung des linken Ringfingers ins Auge stach. Er warf einen schnellen Blick auf die Tür, als ob er fürchtete, gestört zu werden, und zwar mit einer Besorgnis, die Liam übertrieben vorkam.
»Liam«, fragte er in gewichtigem Ton, »erinnerst du dich an meine Vorlesung über die gnostischen Häresien, beim Konvent von Assisi?«
»Seitdem sind mehr als zwanzig Jahre vergangen«, antwortete Liam nach einigen Sekunden.
»Ich kann mich bestens an diesen impertinenten
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