Die letzte Rune 01 - Das Ruinentor
und danach war der Schmerz fast erträglich. Sie schrubbten sich mit der weichen braunen Seife ab, dann tauchten sie unter, damit die Strömung den Schweiß und Schmutz der Reise fortspülen konnte. Nach mehreren Sekunden des Untergetauchtseins drohte die Kälte Travis' Schädel zu spalten, und er stand auf und schnappte nach Luft. Einen Augenblick später durchbrach Beltan die Oberfläche in einem Schauer kristallklarer Tropfen.
»Bei den Eiern von Vathris' Stier!« brüllte der Ritter.
Travis zuckte zusammen. »Weißt du, das ist vermutlich wohl kaum der angebrachte Fluch für ein Bad in kaltem Wasser.«
Der andere Mann schnaubte zustimmend. Er wischte sich das lange, dünner werdende Haar aus der Stirn. Das war der Augenblick, in dem Travis die Narben des Ritters auffielen.
Beltans Körper erzählte von einem Leben harter und gewalttätiger Arbeit, was einen starken Kontrast zu seinem stets gutgelaunten Benehmen bot. Der Calavaner war muskulös, hatte aber nicht die geringste Ähnlichkeit mit einem sportstudiogestählten Model der Erde. Da schon eher mit einem wilden Löwen aus der Serengeti, hungrig und ungezähmt und mit deutlich hervortretenden Rippen, mit einem Fleck lohfarbenen Haars in der Mitte der Brust. Zahllose feine weiße Narben überkreuzten sich auf der Haut des Ritters, zusammen mit einer Anzahl roter Striemen. Travis hob eine Hand an die Brust. Sicher, er hatte den größten Teil der alten Fettschicht den Strapazen dieser Welt geopfert, aber unter den sandbraunen Härchen war seine Haut makellos und glatt. Wie hatte er überhaupt jemals wagen können zu glauben, er hätte in seinem Leben Mühsal und Härten kennengelernt?
»Travis, was ist?«
Beltans hohe Stirn hatte sich in Falten gelegt. Travis suchte nach Worten.
»Es tut mir leid. Es ist nur … deine Narben … ich wußte das nicht.«
Der blonde Mann zuckte mit den Schultern. »Ich bin ein Ritter. Das gehört dazu.«
»Hat das nie in dir den Wunsch geweckt, aufzuhören? Ritter zu sein, meine ich.«
»Eigentlich nicht. Man gewöhnt sich ans Bluten.«
»Ich kann mir nicht vorstellen, daß ich mich an so etwas gewöhnen würde.«
»Du wärst überrascht. Ich glaube, du würdest einen guten Ritter abgeben, Travis.«
Travis lachte und versuchte zu ignorieren, wie hohl es klang. »Ich glaube nicht, Beltan, daß mich auf dieser Welt jemals jemand für einen Ritter halten wird. Die schlimmste Narbe, die ich vorweisen kann, stammt von einem Stück Papier, an dem ich mich geschnitten habe.«
Es war als spöttische Bemerkung gedacht gewesen, aber Beltan lachte nicht.
»Nicht alle Wunden hinterlassen sichtbare Narben.«
Travis hätte so ziemlich jede andere Antwort erwartet. Aber nicht diese. Er trat einen Schritt zurück und runzelte die Stirn. Hatte der Ritter ihm etwas angemerkt? Aber wie sollte er das wissen? Er hatte es niemals jemandem erzählt.
Ich liebe dich, Travis.
Ich liebe dich auch, Alice. Und jetzt schlaf. Du mußt schlafen, damit die Medizin wirkt.
Wirst du hiersein, wenn ich morgen früh aufwache?
Ich verspreche es.
Indianerehrenwort?
Indianerehrenwort.
Okay. Gute Nacht, großer Bruder.
Gute Nacht, Flocke.
Travis öffnete den Mund. Der Blick aus den blauen Augen des Ritters durchbohrte ihn wie eine Klinge. In diesem Augenblick hätte er es Beltan beinahe erzählt, ihm alles erzählt, wie er sein Versprechen gebrochen und sich danach diese alles erstickende Stille über das Farmhaus in Illinois gesenkt hatte.
Von den Talrändern schoß ein kalter Wind herunter, der sich auf seiner nassen Haut eiskalt anfühlte. Er zitterte und verschluckte die Worte, die er hatte sagen wollen.
»Wir sollten machen, daß wir aus dem Wasser rauskommen, wenn wir noch vor dem Frühling auftauen wollen«, sagte er statt dessen.
Beltan nickte bloß.
Nachdem sie die Wämser, Hosen und die Unterwäsche in dem Bach gewaschen und sie über Sträucher gehängt hatten, legten sie sich auf flache Felsen und sonnten sich, bis die Sachen trocken waren. Als sie sauber und warm ins Lager zurückkehrten, war es später Nachmittag.
»Nun«, sagte Melia zur Begrüßung, »das ist schon besser.«
Beltan blickte sich um. »Wo ist Falken?«
»Er ist noch nicht aus dem Turm zurück.« Die Angespanntheit um ihren Mund strafte ihren ruhigen Tonfall Lügen.
Beltan machte eine kleine Geste in Richtung seiner Hüfte, wo sonst das Schwert hing. »Vielleicht sollte ich …«
Melia schüttelte fast unmerklich den Kopf. »Noch nicht, Beltan. Laß ihm
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