Die letzte Rune 01 - Das Ruinentor
Hineinstecken geöffnet haben. Bevor er überhaupt begriff, was er da eigentlich tat, holte er den Stein hervor. In dem Halbdunkel glühte er graugrün.
Die Schatten im Licht streckten spindeldürre Arme aus.
Falken ergriff sein Handgelenk mit brutaler Kraft. »Steck das weg, du Narr!«
Travis fummelte herum, stieß den Stein zurück in seinen Behälter und klappte den Deckel zu.
»Vielleicht wissen wir ja doch, wie sie uns hierher gefolgt sind«, sagte Melia grimmig an den Barden gewandt. »Phantomschatten wurden nur aus einem einzigen Grund erschaffen.«
Falken grunzte, gab ansonsten aber keine Antwort.
»Und, was jetzt?« fragte Melia.
Beltan zeigte mit dem Schwert auf das Licht. »Was auch immer ihr vorhabt, ihr solltet euch bald entscheiden. Ich habe diese Phantomschatten immer für Sagengestalten gehalten, und ich will nicht herausfinden, daß ich mich die ganzen Jahre geirrt habe.«
»Der Turm«, sagte Falken. »Das ist unsere einzige Chance.«
Ihnen blieb keine Zeit, in die Sättel zu steigen. Die Pferde tänzelten und stemmten sich gegen ihr Halteseil. Beltan zerschnitt das Seil mit dem Schwert, und die Pferde galoppierten los. Die vier Menschen flohen auf den Sockel des Turms zu. Ihre Schatten breiteten sich vor ihnen aus; sie waren so dürr wie die Wesen im Licht. Der Torbogen in der Steinwand klaffte auf wie ein hungriger Rachen. Falken warf sich in die Öffnung hinein, die anderen folgten ihm auf den Fersen.
Die Dunkelheit war wie eine dicke, erstickende Decke. Travis stolperte, seine blind tastenden Hände suchten nach irgend etwas, an dem er sich festhalten konnte. Einen Moment lang verspürte er nackte Panik, dann stießen seine Finger gegen kalte Eisenringe auf etwas Breitem, Stabilem. Beltan. Große Hände packten Travis' Schultern, hielten ihn.
»Beltan, ich habe Angst«, flüsterte er.
»Schon in Ordnung, Travis. Ich bin hier.«
»Aber das solltest du nicht. Begreifst du denn nicht? Ich bin es, hinter dem sie her sind.« Das war die Wahrheit – die anderen schwebten nur seinetwegen in Gefahr, und wenn sie verletzt wurden, wäre das genauso, als hätte er es selbst getan. Das durfte er nicht zulassen. »Ich muß da wieder raus, Beltan. Sonst holen sie auch dich.«
Travis wollte sich von ihm lösen, aber der Ritter schlang seine kräftigen Arme um ihn.
»Nein, Travis. Ich werde dich nicht gehen lassen.«
Travis setzte sich zur Wehr, aber Beltans Arme hätten genausogut Stahlbänder sein können.
»Du brauchst keine Angst haben«, sagte Beltan leise. »Ich bin Melias Ritter-Hüter, ihr Beschützer, und du bist ihr Schützling. Das bedeutet, daß ich auch dein Beschützer bin. Solange ich lebe, wird dir keine Unbill widerfahren. Das schwöre ich.«
Aber welche Unbill wird dir widerfahren? Travis sprach die Worte nicht aus. So unmöglich das auch schien, wo doch draußen diese Geschöpfe lauerten, in den Armen des Ritters fühlte er sich beinahe sicher.
Ein blaues Licht flammte auf und trieb die Schatten innerhalb des Turms zurück, wenn auch nur ein paar Schritte in jeder Richtung. Über dem Torbogen schwebte ein Strahlenkranz, der aussah wie aus Mondlicht gewobene Gaze. Melia senkte die Arme.
»Das wird sie nicht sehr lange aufhalten«, sagte sie zu Falken.
»Dann laßt uns weitergehen.«
Der Barde führte sie tiefer in den Turm hinein. Nach ein paar Schritten wurde sich Travis bewußt, daß er noch immer sehen konnte. Der blausilbrige Schein war ihnen gefolgt. Nein, das stimmte nicht. Er war ihnen gar nicht gefolgt.
Melia glühte.
Das silbrige Licht tanzte die Konturen ihrer geschmeidigen Gestalt entlang, genau wie die Aura, die Travis in den Ruinen Kelciors um sie herum leuchten gesehen hatte, nur daß sie hier viel heller war. Was tat Melia? Und wie hatte sie den Trick mit der Tür geschafft? Hatte sie letzte Nacht auf dem schmalen Bergpfad dasselbe getan, um die Wesen im Licht – die Phantomschatten – an ihrer Verfolgung zu hindern? Sie bemerkte seinen ehrfurchtsvollen Gesichtsausdruck und runzelte die Stirn.
»Frag nicht.«
Travis schloß den Mund. Sie betraten einen staubigen Gang. Melia schloß zu Falken auf.
»Wo gehen wir hin?«
Der Barde verlangsamte seinen Schritt nicht. »Der Weiße Turm wurde vor fast sieben Jahrhunderten errichtet, als solche Dinge wie Phantomschatten noch nicht vergessen waren. Die Runenbinder statteten die Steine dieses Ortes mit Abwehrzaubern aus. Wenn es uns gelingt, eine Möglichkeit zu finden, diese Verteidigungsmechanismen
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