Die letzte Rune 01 - Das Ruinentor
finden.«
»Das ist nicht fair, und das weißt du auch.«
»Fairneß hat damit nichts zu tun.«
Travis versuchte die Panik hinunterzuschlucken, die sich seine Kehle hinaufkrallte. Bildete er sich das bloß ein, oder zeichneten sich in dem Licht tatsächlich schmale Silhouetten ab?
Melia verschränkte die Arme und starrte den Barden böse an. »Also gut, Falken. Wir machen deinen Umweg. Aber wenn wir zu spät zum Rat kommen, dann ist das deine Schuld.«
»Als wäre es das nicht sowieso.«
Sie bogen von der Straße ab, lenkten ihre Pferde zwischen den beiden von der Zeit verwitterten Steinsäulen hindurch und ritten im leichten Galopp den dahinter liegenden, sich windenden Pfad entlang.
52
Die ganze Nacht lang suchten sie sich auf dem trügerischen Pfad ihren Weg, immer höher in die schattenhaften Berge hinein. Travis hielt sich am Rücken seines Pferdes fest und grub jedesmal, wenn der Wallach über einen Stein stolperte, die Finger in die Mähne. Am wolkenverhüllten Himmel leuchteten weder die Sterne noch der Mond, trotzdem führte Melia die Gruppe voller Selbstvertrauen. Ihre Stute trieb wie ein Geist durch das Zwielicht, und die anderen Pferde folgten ihr anhand ihres Geruchs. Von Zeit zu Zeit glaubte Travis zwei funkelnde bernsteinfarbene Lichter voraus zu sehen, die die Finsternis wie die glühenden Augen einer Katze durchbohrten, aber er konnte sich nicht darauf verlassen, daß ihm seine eigenen Augen keinen Streich spielten.
In der ersten Zeit, die sie den schmalen Pfad entlangritten, schaute Travis alle paar Minuten über die Schulter, und jedesmal erwartete er, daß das blauweiße Licht die Nacht zerriß. Doch da war nur unberührte Dunkelheit. Von seinen geheimnisvollen Verfolgern fehlte jede Spur. Schließlich überkam ihn Müdigkeit, die seiner Furcht die Dringlichkeit nahm. Am Ende verfiel er in eine Art Wachtraum, eine betäubte Trance, in der es nur die Dunkelheit und das unablässige Geklapper der Pferdehufe gab. Murmelnde Stimmen in der kühlen, feuchten Luft ließen ihn aufschrecken.
»Was auch immer du getan hast, um unsere Spuren zu verbergen, anscheinend hat es funktioniert. Ich glaube nicht, daß sie uns gefolgt sind.« Das war Falkens leise, melodische Stimme.
»Wie weit ist es noch?« Wasser, das auf Kupfer prasselte. Melia.
»Ich glaube, wir sind fast da. Obwohl ich gestehen muß, daß es lange her ist, daß ich diesen Ort besucht habe. Sogar sehr lange.«
»Sollen wir hier eine kurze Rast einlegen?«
»Nein, laß uns weiterreiten. Ich glaube, es ist vermutlich sicherer, dort unser Lager aufzuschlagen, sobald wir da sind.«
Travis blinzelte, und erst dann begriff er, daß er sehen konnte. Eine perlmuttfarbige Lumineszenz hatte sich in den Nebel geschlichen, und er konnte um sie herum die stummen Umrisse zerklüfteter Berge ausmachen, Flecken aus dunklerem Grau, die sich von der leuchtenden Luft abhoben. Der Pfad verlief zwischen den ausgestreckten Armen zweier hörnerartiger Gipfel, dann kamen sie in ein Tal, das von allen Seiten von bewaldeten Hügeln eingeschlossen wurde. Ein kühler Morgenwind fegte in das Tal und riß den Nebel auseinander. Das weißgoldene Licht der aufgehenden Sonne durchbrach den weißen Schleier.
Das war der Augenblick, in dem sie ihn sahen. Er stand wie ein bleicher Wächter auf einem Erdhügel in der Mitte des Tals. Sie zügelten die Pferde.
Selbst als Ruine war der Turm noch prächtig anzusehen. Glatte, elfenbeinfarbene Wände schwangen sich spitz zulaufend himmelwärts. Es gab weder Fenster noch Simse, auch keine Zinnen – nichts, was die perfekte Symmetrie seiner Form verunstalten konnte. Doch die Zeit war nicht so rücksichtsvoll mit der luftigen Perfektion des Turms umgegangen wie seine Schöpfer. Seine Kuppe, die in einer Spitze hätte enden müssen, endete statt dessen in einer gezackten Krone aus zerbrochenem Stein. Mit Moos und Flechten überwachsene Haufen aus schmutzigweißem Geröll waren rings um den Turm angehäuft. Abgestorbene Schlingpflanzen klebten wie Adern an den Wänden.
In der kühlen Luft beschwor Travis' Atem Geister hervor. »Falken, wo sind wir?«
Der Wind riß an dem schwarz-silbernen Haar des Barden. »Das war der Weiße Turm, der Turm der Runenbinder. Er war eine der drei Bastionen der Runenmagie, die vor über siebenhundert Jahren nach dem Fall von Malachor von den Anhängern der Runenmeister gegründet wurden.«
Travis trieb sein Pferd ein Stück vorwärts. »Die Runenmeister?«
Falken nickte. »Die Runenmeister
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