Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Die letzte Rune 01 - Das Ruinentor

Titel: Die letzte Rune 01 - Das Ruinentor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anthony Mark
Vom Netzwerk:
wie ein normaler Mensch empfinden?
    Sie steckte den Anhänger in den Ausschnitt ihres Gewandes und ging weiter.
    Gerade, als sie umkehren wollte, hörte sie ein Krachen, dem ein Schrei folgte. Ein zweites Krachen schreckte sie aus ihrer Lähmung auf. Sie hastete um die Ecke und betrachtete die Szene, die sich ihr bot.
    Eine Dienstmagd kniete von zerbrochenem Geschirr umgeben auf dem Steinboden. Tränen liefen über ihr Gesicht, und auf einer Wange konnte man deutlich einen geröteten Handabdruck sehen. Über ihr stand ein dicker Mann in grellem Scharlachrot mit wutverzerrtem Gesicht. Er hob seine mit Ringen übersäte Hand, und die Dienerin zuckte zusammen.
    Menschen machten Grace furchtbare Angst. Mit Gewalt aber hatte sie in der Notaufnahme täglich umgehen müssen.
    »Haltet ein, Lord Olstin.«
    Sie sprach nicht laut – sie hatte gelernt, daß schreien nicht effektiv war, sondern Leute eher dazu brachte, das Gegenteil von dem zu tun, was man von ihnen wollte. Statt dessen betonte sie mit leiser Stimme jedes einzelne Wort besonders deutlich. Der Mann zog seine juwelenbesetzte Hand zurück und wirbelte herum. Sein bohrender Blick mußte kurz suchen, bevor er Grace entdeckte. Er entspannte die verkrampften Finger, richtete die Kleidung und nickte.
    »Euer Durchlaucht.«
    Das Beben seiner Oberlippe strafte seinen freundlichen Tonfall Lügen. Grace beachtete ihn nicht, sondern ging zu der Magd und kniete neben ihr nieder. Mit geübten Bewegungen untersuchte sie das Gesicht der jungen Frau nach Anzeichen weiterer Verletzungen.
    »Tut es dir irgendwo weh, wenn ich dich berühre?«
    »Nein, Mylady«, erwiderte die Magd. »Nur meine Wange.«
    Sie weinte nicht mehr, sondern schaute Grace aus großen, braunen Augen an.
    Grace nickte. Der Schlag auf die Wange hatte keine schweren Verletzungen verursacht – es waren keine Knochen gebrochen –, aber sie würde einen üblen Bluterguß bekommen. Sie half der Dienerin auf die Füße. Die junge Frau setzte sich die graue Kappe wieder gerade auf den Kopf und glättete ihr Kleid. Grace wandte sich Olstin zu.
    »Warum habt Ihr das getan?«
    Der Erste Berater von Brelegond machte einen Satz zurück. »Ich habe diesem … diesem unverschämten Luder befohlen, König Lysandir einen Krug Ziegenmilch zu bringen. Mein Herr ist ein wenig unpäßlich, und Milch ist gut für seinen Magen. Aber sie hat es gewagt, geronnene Milch zu bringen – eine Beleidigung für meinen König.«
    Die Magd schüttelte den Kopf. »Ich habe Euch doch schon gesagt, Mylord, die Milch war noch süß, als ich sie eingegossen habe. Das Kleine Volk muß sich daran zu schaffen gemacht haben, als ich ihr einen Moment lang den Rücken kehrte. Die stecken meist hinter derlei Ungemach.«
    »Du dummes Stück!« Ein warmer Sprühregen aus Spucke begleitete Olstins schrille Worte. »Es gibt kein Kleines Volk, nur dumme Luder von Mägden. Für diese Unverschämtheit lasse ich dich auspeitschen!«
    Olstin stürzte sich auf das Mädchen, doch Grace stellte sich ihm in den Weg.
    »Fort mit Euch, Lord Olstin.«
    Er funkelte sie an. Sie rührte sich nicht. »Sofort.«
    Olstin zögerte und leckte sich über die Lippen. Unsicherheit kroch in seine kleinen Augen, und er blieb zurück.
    »König Boreas wird hiervon unterrichtet werden, Mylady.«
    »Das werde ich selbst erledigen«, sagte Grace.
    Er warf ihr einen letzten giftigen Blick zu, dann drehte er sich auf dem Absatz um und war verschwunden. Grace lehnte sich gegen die Wand. Irgendwie konnte sie das Gefühl nicht loswerden, daß sie sich gerade einen Feind gemacht hatte.
    Sie spürte eine sanfte Berührung an ihrer Hand. Sie blickte auf, und die Dienerin lächelte sie schüchtern an.
    »Vielen … vielen Dank, Mylady.«
    Grace atmete tief durch und brachte ein mattes Lächeln zustande. »Wie heißt du?«
    »Adira, Mylady.«
    »Es tut mir leid, daß ich nicht früher um die Ecke gekommen bin, Adira. Ich heiße …«
    »Ach, Lady Grace, natürlich!« Die junge Frau strahlte. »Ich habe Euch schon oft gesehen, Mylady. Gestern noch im Hof, als Ihr mit Königin Ivalaine gesprochen habt.« Ihre Augen funkelten. »Sie ist eine Hexe, wißt Ihr das? Wie die Lady Kyrene, nur noch viel mächtiger, sagt man. Wollt Ihr auch eine Hexe werden?«
    Jetzt fühlte Grace sich wie die Geohrfeigte. Sie konnte die andere nur noch anstarren.
    »Ich will eine Hexe werden«, sagte Adira. »Ich werde die Königin darum bitten.« Jetzt verengten sich ihre Augen zu Schlitzen, und ein

Weitere Kostenlose Bücher