Die letzte Rune 02 - Der fahle Könige
stieß Grace zwischen zwei Atemzügen hervor.
»König Kylar«, antwortete der blonde Ritter. »Wir sind fast da.«
Sie bogen um eine Ecke und vernahmen ein furchtbares Krachen, das Geräusch von Stein auf Stein. Eine graue Staubwolke schoß unter einer Tür hervor, vor der zwei Bewaffnete Wache hielten. Sie sahen zuerst den Staub überrascht an, dann die beiden Männer und die Frau, die auf sie zuliefen.
»Öffnet die Tür!« befahl Beltan.
Die Männer zögerten nicht. Einer stieß die Tür auf. Dichter Staub wallte heraus und erschwerte das Atmen.
Travis versuchte, etwas durch die Wolke zu erkennen. »Was ist passiert?«
Beltan blinzelte. »Beim Stier! Es sieht aus, als wäre die Wand auf das Bett gestürzt.«
Travis sank das Herz. Sie waren zu spät gekommen. Der freundliche junge König von Galt war das Ziel des Mörders gewesen, und der Verschwörer hatte Erfolg gehabt.
Beltan hielt einen Umhangzipfel als Staubschutz vor den Mund. »Ich gehe dort rein und …«
Er verstummte, als sich eine Gestalt aus den Dunstschwaden schälte. Dann griff er beherzt zu und zog jemanden in den Korridor.
Grace klatschte in die Hände. »König Kylar!«
Gesicht und Haar waren voller Steinstaub, ein Husten ließ seine Schultern erbeben, aber es war klar ersichtlich, daß der junge König von Galt unversehrt und am Leben war. Grace eilte zu ihm hin, um ihn zu stützen, und Travis half ihr.
Beltan verschwand in dem Gemach und kehrte einen Moment später mit weißem Haar und Gesicht zurück. Er sah Kylar erstaunt an. »Die ganze Wand ist eingestürzt, ich glaube, der Mörtel wurde herausgehämmert, und das Bett besteht nur noch aus Splittern. Wie konntet Ihr überleben?«
»Das B-b-ett«, stotterte Kylar. »Es war voller W-w-anzen, darum schlief ich statt dessen im K-k-kleiderschrank.«
Zu Travis’ Erstaunen fing Grace an laut zu lachen. Und ohne es zu wollen, fiel er darin ein.
Grace ergriff Kylars Hand. »Anscheinend habt Ihr gelegentlich doch mal Glück, Euer Majestät.«
Er grinste sie durch den Staub an. »Schon möglich. Wer weiß?«
30
Am darauffolgenden Tag trat Boreas vor den Rat der Könige und unterrichtete die anderen von dem gescheiterten Attentat auf König Kylars Leben.
Als Grace das Ratsgemach betrat, hielt sie auf ihren gewöhnlichen Platz in einer der ersten Sitzreihen zu, zögerte dann aber. Sonst saß sie zwischen Aryn und Lord Alerain. Aber Aryn war noch nicht da, und Alerain …
Eine rundliche, rothaarige Frau winkte ihr zu. Es war Tressa, Königin Ivalaines Hofdame. Grace erstarrte. Was würde Boreas denken, wenn er sie neben Ivalaines engster Beraterin und allseits bekannter Hexe sitzen sah?
Das ist sein Problem, Grace. Davon abgesehen erwartet man von dir, Ivalaines Pläne in Erfahrung zu bringen.
Sie nahm entschlossen die Schultern zurück und gesellte sich zu der rothaarigen Tressa.
Es war nicht schwer, sich in dem Ratsgemach zurechtzufinden. Die Reihen steinerner Sitzbänke waren nicht mehr so bevölkert wie noch am ersten Tag. Viele der niederrangigen Adligen waren in ihre Domänen zurückgekehrt, einige mit Nachrichten oder Befehlen ihres Königs oder ihrer Königin. Zweifellos waren die Herrscher begierig, in ihre eigenen Burgen und Schlösser zurückzukehren, um sich um ihre Domänen zu kümmern – und um sicherzugehen, daß während ihrer Abwesenheit keine Barone übermäßigen Ehrgeiz entwickelt hatten. Aber ihnen waren durch die uralten Regeln des Rates die Hände gebunden.
Aryn hatte gesagt, daß keiner von ihnen den Rat verlassen konnte, bevor er zu einer endgültigen Entscheidung gekommen war.
Falls König Boreas’ Plan funktionierte, konnte es allerdings heute zu dieser Abstimmung kommen.
Vergangene Nacht hatte Boreas sehr seltsam auf die Neuigkeit von Alerains Verrat und Tod reagiert. Sie waren nicht alle in das Gemach des Königs gegangen. Grace und Beltan hatten das allein erledigt. Beltan hatte erzählt, daß Alerain in Boreas’ Jugend wie ein Onkel für den König gewesen war. Sie hielten es für besser, wenn er die Neuigkeit von so wenig Leuten wie nur möglich erhielt.
Der König hatte die ganze Zeit, in der sie Bericht erstatteten, reglos auf seinem Drachenthron gesessen und in die Flammen geblickt. Als sie geendet hatten, hatte Grace Unglauben oder Wut erwartet. Aber er hatte bloß genickt und darum gebeten, allein gelassen zu werden. Dann hatte er einem seiner Hunde die Hand auf den Kopf gelegt und weiter ins Feuer gestarrt. So hatten sie ihn
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