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Die letzte Rune 02 - Der fahle Könige

Titel: Die letzte Rune 02 - Der fahle Könige Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anthony Mark
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zurückgelassen.
    Am Morgen war Boreas wie ein anderer Mann erschienen. Er hatte Grace einen seiner seltenen Besuche in ihrem Gemach abgestattet. Sie hatte seine dröhnende Stimme schon im Korridor gehört, während sie noch mit Ankleiden beschäftigt war, und es war ihr kaum genug Zeit geblieben, in ihr Gewand zu schlüpfen, bevor er auch schon hereinstürmte.
    Das war der Boreas, den sie kannte – das Gemach schien für seine Masse und Energie viel zu klein zu sein. Der König hatte ihr seinen Plan erklärt, den Rat über das Mordkomplott und den Anschlag auf Kylars Leben zu informieren, in der Hoffnung, daß die Herrscher angesichts dieser gemeinsamen Bedrohung ihre Differenzen beiseite legten oder daß zumindest derjenige, der sich gegen die Mobilmachung ausgesprochen hatte, seine Meinung nun änderte, denn Boreas wollte den Rat heute zu einer Abstimmung zwingen.
    Grace war die Frage schon entschlüpft, bevor sie überhaupt darüber nachdachte, ob es klug war, sie zu stellen. »Euer Majestät, werdet Ihr dem Rat von dem Rabenkult und dem Fahlen König berichten?«
    Boreas hatte den Kopf schiefgelegt und sie durchdringend angesehen. Dann hatte er sich auf dem Absatz umgedreht und ohne ein weiteres Wort zu verlieren das Gemach verlassen. Er schien dabei ein Vakuum zu hinterlassen, und Grace hatte das Bedürfnis verspürt, sich an einem der Bettpfosten festzuklammern, um nicht hinter ihm aus dem Raum gesogen zu werden. Nachdem sie Luft geschöpft hatte, wollte sie Aryn und die anderen über Boreas’ Pläne informieren, aber da war auch schon ein junger Page gekommen, um sie zur Ratsversammlung zu bringen.
    Grace setzte sich neben Tressa.
    »Guten Morgen, Lady Grace«, sagte die Hofdame.
    Grace lächelte. »Guten Morgen, Lady Tressa.«
    Tressas Alter war schwierig einzuschätzen, obwohl Grace in dieser Disziplin sehr begabt war. Das rundliche Gesicht der Hofdame war glatt und hübsch, aber es gab andere Zeichen – die feinen Falten um ihre Augen, die paar grauen Strähnen in ihrem dichten Haar, die blauen Adern auf ihren Handrücken –, die Grace zu dem Schluß kommen ließen, daß sie älter war, als sie aussah.
    Grace fing an, ihr Gewand zurechtzuziehen, denn es kostete immer eine gewisse Mühe, wenn man verhindern wollte, auf einem Haufen Stoff zu sitzen, und hielt inne. Ihre Nackenhärchen sträubten sich, und sie schaute auf. Die feurigen Blicke zweier smaragdgrüner Augen schienen sie durchbohren zu wollen. Grace versuchte nicht hinzusehen, aber es war wie das Vorbeifahren an einem Autounfall: es gelang ihr nicht.
    Kyrene saß auf der anderen Seite des Ratssaals allein auf einer Bank. Sie trug eines ihrer verschwenderischen grünen Gewänder, aber sie schien darin zu versinken, und ihr dunkelblondes Haar, das sonst immer so sorgfältig gebürstet und frisiert gewesen war, wirkte verfilzt und stumpf. Die Gräfin kaute auf einem Fingernagel, während sie Grace anstarrte. Sie sah verletzt und gefährlich aus, wie ein kleines Tier, das zwar verwundet, doch noch immer ziemlich lebendig war. Kyrene bemerkte Grace und lächelte: ein zugleich mürrischer und selbstgefälliger Ausdruck.
    Grace hielt den Atem an. Sie plant noch immer etwas, es kann nicht anders sein. Ivalaine mag sie verbannt haben, aber so leicht gibt Kyrene nicht auf. Aber was glaubt sie erreichen zu können?
    Vor Graces innerem Auge tauchte ein Bild auf, dunkle Hände auf weißer Haut. Logren. Würde sie versuchen, Logren etwas anzutun? Grace fing an zu zittern, und Tressa war es wohl nicht verborgen geblieben, denn sie nahm sie bei der Hand.
    »Ihr müßt sie einfach ignorieren, mein Kind«, sagte die Hofdame. »Sie verfügt nicht über die nötige Macht, um uns zu schaden.«
    Grace schüttelte den Kopf. Sie wollte Tressa sagen, daß sie sich irrte, daß Kyrene etwas plante, und zwar bestimmt nichts Gutes. Dann ertönten die Fanfaren. Die Sitzung begann.
    Die Herrscher betraten nacheinander den Raum. Grace sah, daß Falken und Melia auf einer der vorderen Bänke Platz genommen hatten. Travis, Aryn, Durge und Beltan saßen direkt dahinter. Sie mußten in dem Moment hereingekommen sein, in dem Grace abgelenkt gewesen war. Sie versuchte ihre Aufmerksamkeit zu erregen, scheiterte aber. Sie ließ sich auf ihre Bank zurücksinken; sobald der Rat eine Pause einlegte, würde sie mit ihnen sprechen.
    Die Adligen nahmen ihre Plätze auf den Bänken und die Herrscher auf ihren eigenen Stühlen ein – mit Ausnahme des Stuhls von Malachor, der so leer

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