Die letzte Rune 04 - Die Flammenfestung
bloß aus dem Fenster.
Grace schüttelte den Kopf. »Ich wünschte, wir könnten mit ihr sprechen. Es gibt so viel, das ich sie fragen … Tira!«
Während Graces Worten war das barfüßige Mädchen an ihr vorbei auf die niedrige Fensterbank geklettert. Tira wich ihren zupackenden Händen aus, schlüpfte durch das Fenster und stellte sich auf den Fenstersims. Graces Aufschrei hallte von den Steinwänden wider. Die Königin unten blieb stehen und hob das verschleierte Gesicht.
Tira grinste und winkte ihr zu.
Die Hofdamen starrten mit offenstehenden Mündern entsetzt nach oben. Königin Inara zögerte, dann hob sie die Hand und winkte schüchtern zurück. Grace erwischte das Mädchen endlich und riß es zurück in den Raum. Unten nahmen die Königin und ihre Begleiterinnen wieder ihren Spaziergang auf und verschwanden aus der Sicht.
Beltan schloß die Läden, nachdem alle vom Fenster weggetreten waren. Grace drückte Tira an ihre Brust.
»Tu so etwas nie wieder«, sagte sie mit geröteten Wangen. »Hörst du?«
Tira wehrte sich nicht gegen sie. Statt dessen schloß sie die Augen und schmiegte ihr vernarbtes Gesicht an Graces Brust.
»Etwas nicht in Ordnung, Mylords, Myladys?«
Sie drehten sich um und sahen Lord Siferd quer durch den Großen Saal herannahen. Ihm folgte ein Diener mit einem Tablett voller Pokale.
Melia ging ihm entgegen. »Nein, Mylord, alles in bester Ordnung.«
Der Kammerherr strahlte über das ganze Gesicht und verneigte sich tief. »Eure Gemächer sind fast fertig, schöne Lady. Ich darf Euch nur noch um etwas Geduld bitten. Bitte, erfrischt Euch doch, während Ihr wartet.«
Der Kammerherr eilte wieder aus dem Saal, und der Diener kam heran. Jeder von ihnen nahm sich einen Pokal mit hellem Wein von dem Tablett. Travis trank und seufzte zufrieden. Er war durstig, und der Wein war kühl und nur leicht gesüßt.
Beltan stellte seinen geleerten Pokal mit einem Grunzen wieder ab. »Das ist zwar kein Bier, aber ich könnte mich daran gewöhnen.« Er nahm sich noch zwei Pokale, während der Diener ihm mit großen Augen zusah.
Die meisten von ihnen setzten sich, während sie auf die Rückkehr des Kammerherrn warteten, wobei die anderen im Großen Saal umherspazierten oder Nebentüren öffneten, die in kleine Vorräume führten. Travis saß auf einer Bank und starrte in seinen Wein. Konnte er wirklich das tun, was er sich vorgenommen hatte? Aber es gab keine andere Möglichkeit, um sicherzugehen, daß er nie jemandem schaden würde, der ihm etwas bedeutete.
»Was befindet sich hinter dieser Tür, Travis?«
Er schaute auf. Melia näherte sich der Tür neben seiner Bank.
Er zuckte mit den Schultern. »Ich weiß es nicht. Ich habe nicht nachgesehen.«
Melia drückte die Klinke herunter, und die Tür schwang auf. »Nun ja, ich habe stets die Meinung vertreten, wenn eine Tür nicht verschlossen ist, dann ist es auch kein Herumschnüffeln.«
Travis grinste sie an. Dem konnte er nicht widersprechen. Sie öffnete die Tür weiter und betrat den dahinter befindlichen Raum. Travis beugte sich wieder seufzend über seinen Wein.
Ein Keuchen kam durch die Tür, gefolgt von einem leisen, aber deutlich verständlichen Aufschrei.
»O nein!«
Im nächsten Augenblick ertönte ein dumpfer Aufprall, gefolgt vom klirrenden Geräusch von Metall auf Stein.
Travis sprang erschrocken auf. Er starrte auf die Tür, dann stürmte er durch sie hindurch. Beltan war ihm bereits voraus. Die beiden Männer fanden sich in einem kleinen Raum wieder, Licht aus einem hohen Fenster erhellte ein paar Gegenstände: einen Stuhl, einen Tisch, eine Marmorbüste auf einem Podest, die einen stattlichen Mann darstellte. Aber Travis nahm nichts davon wahr. Er sah nach unten, und ihm drohte das Herz stehenzubleiben.
Eine kleine Gestalt in Blau lag in einer Weinpfütze auf dem Boden. Der Pokal war aus ihrer schlaffen Hand gerollt, und die Augen in ihrem bleichen Gesicht waren geschlossen.
»Nein!« Beltans Schrei hallte von den Wänden zurück. Er fiel neben der kleinen, reglosen Gestalt auf die Knie, während die anderen hereinstürmten.
»Was ist?« rief Falken von der Tür aus.
Travis drehte sich um und erwiderte den Blick des Barden. »Es ist Melia.«
32
Zwei Tage später versammelten sie sich im Morgengrauen in den Schatten der vielen Schloßtürme im untersten der Burghöfe. Grace zog den Umhang eng um den Körper. Nach der drückenden Hitze auf der Reise nach Osten mußte sie sich noch immer an die Kälte gewöhnen, die
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