Die letzte Rune 04 - Die Flammenfestung
uns«, sagte sie in einem beschwichtigenden Tonfall.
Ein kurzes Schweigen trat ein, dann sagte die Stimme hinter dem Tor dumpf: »Der Regent erwartet Euch …«
»Wir sind seine Gäste«, fuhr Melia fort.
»Ja, Ihr seid seine Gäste …«
»Gut«, sagte Melia. »Und jetzt mußt du uns das Tor öffnen, damit der Regent nicht unzufrieden mit dir ist.«
Entsetzen trat in die Augen unter dem Helm. »Nein! Der Regent darf nicht unzufrieden sein.«
Die Klappe wurde zugeknallt, dann ertönte ein Knirschen und eine in das Tor eingesetzte Pforte öffnete sich. Der Barde gab den anderen, die mit den Pferden kamen, ein Zeichen.
Falken beugte sich zu Melia herüber, als sie durch den Eingang traten. »Ich wußte, daß du nicht widerstehen kannst, ihn zu beeinflussen.«
»Ich habe ihn nicht beeinflußt«, sagte sie. »Ich habe ihn lediglich zu der einzig logischen Lösung hingeführt.«
»Hinführen, beeinflussen. Ich sehe da keinen Unterschied.«
»Der Unterschied besteht darin, daß ich uns reingebracht habe und du nicht.«
Bevor Falken darauf etwas erwidern konnte, schritt Melia mit erhobenem Kopf durch die Pforte.
Der Wächter, der eine Rüstung aus einer Art dunklem, poliertem Metall trug, baute sich vor ihnen auf. Er machte eine präzise Verbeugung. »Ihr dürft die Pferde hier lassen – ich versichere Euch, daß man sich gut um sie kümmern wird. Wenn Ihr mir jetzt folgen wollt, bringe ich Euch unverzüglich in den Großen Saal zum Kammerherrn.«
»Aber gern, mein Bester«, sagte Melia.
Obwohl Grace davon ausging, daß der Wächter in seiner Eile den direkten Weg zum Großen Saal nahm, überzeugt war sie davon nicht. Das hier schien eher ein Labyrinth als ein Schloß zu sein, und der Nebel machte die Dinge nicht einfacher. Im Handumdrehen hatte sie die Orientierung verloren, als sie zwischen Türmen durchgingen, sich durch kleine Torbögen zwängten und schmale Brücken überquerten.
Melia stöhnte. »Die Perridoner müssen alles kompliziert machen, oder?«
Falken zuckte mit den Schultern. »Ich glaube, da ist etwas in ihrem Trinkwasser, das daran schuld ist.«
Schließlich stieß der Wächter eine Flügeltür auf, und sie betraten einen Raum, der eine gewisse Ähnlichkeit mit dem Großen Saal von Schloß Calavere hatte. Binsen lagen auf dem Boden, mit Wandteppichen geschmückte Wände ragten bis zu geschwärzten Deckenbalken in die Höhe. Am anderen Ende des Saals befand sich ein Podium, auf dem sich ein zur Zeit unbesetzter, mit vielen Verzierungen geschmückter Stuhl erhob. Allerdings hatte man auf der untersten Stufe des Podiums einen weiteren Stuhl aufgestellt, auf dem ein kleiner Mann mit eingesunkener Brust saß, dessen Augen in einem pockennarbigen Gesicht unstet hin- und herzuckten. Sie erinnerten Grace an das Frettchen, das einer der Medizinstudenten mal ins Krankenhaus mitgebracht hatte, um es dann in dem Ventilationssystem zu verlieren.
Der Wächter stellte sie vor, und im ersten Augenblick war der Kammerherr, der auf den Namen Lord Siferd hörte, außer sich vor Wut, daß man die Besucher ins Schloß gelassen hatte. Aber nach einer kurzen Unterhaltung mit Melia besserte sich Siferds Benehmen schlagartig.
»Ihr müßt mir verzeihen«, sagte er und buckelte vor Melia. »Ich hatte ja keine Ahnung, daß man mir solch illustre Gäste bringt. Seid versichert, daß die Verantwortlichen bestraft werden. Und zwar streng.« Siferd warf dem Wächter, dessen Augen hervorquollen, einen vernichtenden Blick zu.
»Nicht zu streng«, sagte Melia und legte dem Kammerherrn eine sanfte Hand auf den Arm.
Sein Kopf ruckte rauf und runter. »Natürlich, Mylady.«
Melias Lächeln war mehr als nur etwas selbstzufrieden.
Grace trat vor den Kammerherrn. Es war besser, hier keine Zeit zu verschwenden. »Lord Siferd, man sagte uns, der Regent sei fort.«
»Ja, Mylady, das entspricht der Wahrheit. Ich bezweifle, daß Ihr davon gehört habt, aber es gab Gerüchte über eine Seuche in den entfernteren Teilen der Domäne. Der Regent ist losgeritten, um zu sehen, was er für das Volk tun kann.« Er legte eine Hand auf die Hohlbrust. »Ein so tapferer und mitfühlender Mann.«
»Davon bin ich überzeugt«, sagte Grace. »Aber könnten wir in der Zwischenzeit mit Königin Inara sprechen?«
Siferd seufzte. »Äh, nein, das geht nicht. Die Königin ist in Trauer und hat sich von der Welt zurückgezogen, solange sie den Tod ihres Gemahls König Persard beklagt.«
Grace kaute auf der Unterlippe herum. Das war eine
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