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Die letzte Rune 05 - Der Tod der Götter

Titel: Die letzte Rune 05 - Der Tod der Götter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anthony Mark
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Zeichnungen. Die Knochen schienen sich glühend von ihrem dunklen Hintergrund abzuheben, und es dauerte einen Moment, bevor er begriff, dass dafür eine der grellen weißen Lampen verantwortlich war, die man in die Wand eingelassen hatte und deren Licht durch die Gemälde schimmerte.
    Beltan hatte in seinem Leben genug Knochen gesehen, um viele der Bilder zu erkennen. In der Mitte der Wand war ein Oberschenkel-, dann ein Hüftknochen, Hände, Rippen und ein Schädel. Sie sahen wie die Knochen eines hoch gewachsenen Mannes aus.
    Ein Schauder kroch über Beltans nackte Haut. Er schaute auf seine linke Hand, die an seiner Seite festgebunden war. Das letzte Glied des kleinen Fingers war schief; im Alter von zwölf Wintern hatte er ihn sich gebrochen, und er war nie gerade zusammengewachsen. Er schaute zurück auf das glühende Bild der Skeletthand. Der kleine Finger war ebenfalls schief, am letzten Gelenk gebogen.
    Die Knochen auf den Bildern waren seine Knochen. Aber wie konnte man die Knochen eines Mannes zeichnen, und zwar bis ins letzte Detail, wenn sie sich doch noch immer in seinem Körper befanden? Er konnte schwache Umrisse um die Knochen ausmachen, sie sahen aus wie nebelhafte Geister seines Fleisches. Die Annahme, dass hier Magie im Spiel war, gefiel ihm wieder nicht, aber es fiel schwer, sich vorzustellen, wie diese Bilder sonst entstanden sein sollten. Vielleicht hätte Melia es ihm ja erklären können, wenn sie da gewesen wäre.
    Oder nicht Melia, sondern Lady Grace. Warum hatte er das jetzt gedacht? Doch aus irgendeinem Grund hatte er das Gefühl, dass Grace es wissen würde.
    Er ließ die Blicke weiter über die Wand gleiten. Noch mehr Knochenbilder, die genau wie die anderen glühten und Hände, Schädel und Hüften zeigten. Aber diese Knochen waren anders geformt als die seinen. Einer der Schädel war klein, der Kiefer trat hervor, die Hände waren lang und gekrümmt. Bestimmt gehörten diese Knochen dem Schim-Pansi im Käfig. Der starrte die Wand noch immer an. War das Wesen klug genug, um seine eigenen Knochen zu erkennen, so wie Beltan?
    Sein Blick fiel auf das letzte Knochenbild. Wieder überkam ihn ein Frösteln. Ein Bild zeigte einen hohen, zierlichen, wie ein Ei geformten Schädel. Die Augenhöhlen waren groß und schräg, die Kiefer winzig. War es ein Kinderschädel? Aber dafür war er zu groß. Unter dem Schädel war das Bild einer Hand. Die Fingerknochen waren lang, sogar länger als die des Schim-Pansi, gerade und schrecklich dünn, wie die Äste einer Weide. Beltan hatte keine Ahnung, welcher Kreatur diese Knochen gehörten, aber eines stand fest: Es war weder ein Mensch noch ein Schim-Pansi.
    Ein metallisches Klirren hallte durch die kalte Luft. Beltan drehte gerade noch rechtzeitig den Kopf, um zu sehen, wie sich eine Stahltür öffnete. Eine Gestalt trat ein; sie war schmal, schlank. Eine Frau. Wie ein Mann trug sie eine Art Hose und einen dünnen weißen Mantel. Auf ihrer Nase saß eine Brille, wie Travis sie trug, nur hatte sie einen schwarzen Rahmen statt einen aus Draht.
    »Nun, du bist wach«, sagte sie mit einem Lächeln.
    Er erkannte ihre Stimme. Sie hatte einem der beiden Schatten gehört, die zuvor über ihm gesprochen hatten, es war die die man Doktor genannt hatte. Hatte Lady Grace dieses Wort nicht einmal benutzt, um sich zu beschreiben? Aber das war ein Wort aus ihrer Welt gewesen …
    Beltan versteifte sich. Die Frau eilte an das Bett. Sie legte eine Hand auf seine Stirn; sie war kalt. »Nein, keine Sorge. Es gibt keinen Grund zur Sorge. Wir werden dir nichts tun, wir wollen nur von dir lernen, das ist alles.« Sie seufzte. »Aber warum mache ich mir die Mühe, dir das überhaupt zu sagen? Du kannst mich ja nicht verstehen.«
    Aber er konnte sie verstehen. Und wenn sie ihm nichts antun wollte, warum war er dann wie ein Gefangener gefesselt? Er schluckte. Es war schwer, die Worte hervorzubringen, aber er schaffte es.
    »Macht … mich … los.«
    Beltan hatte die Worte noch nicht zu Ende gebracht, als er auch schon wusste, dass etwas an ihnen seltsam war. Sie klangen hart und guttural, genau wie zuvor die Worte der Frau. Und das lag nicht nur an seiner trockenen Kehle.
    Die Frau stolperte mit weit aufgerissenen Augen und offen stehendem Mund vom Bett zurück, sie hob die Hand, um zu verhindern, dass die Brille von ihrer Nase fiel. Ja, sie hatte ihn verstanden. Er kämpfte gegen seine Fesseln an, das schimmernde Material ächzte. Also war doch noch etwas Kraft in ihm. Er

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