Die letzte Rune 05 - Der Tod der Götter
konnte den Jungs gelegentlich etwas Aufregung nicht schaden.
Sie bog um die Ecke, und da lauerte auch schon die Eismaschine in einem dunklen Alkoven, gurgelte und ratterte vor sich hin wie ein alter Mann mit einer verrosteten Eisernen Lunge. Grace stellte den Eimer hinein und zog am Hebel. Nach mehreren Minuten und übermäßigem Ächzen hatte der Eimer genau sechs milchfarbene Würfel aufgefangen. Das reichte. Sie hielt den Eimer an die Brust gedrückt und ging zurück.
Das Plantschen hatte aufgehört. Der Pool war geschlossen, die Mutter siegreich, die Kinder ins Zimmer gezerrt und kurz und heftig trockengerubbelt worden. Dann hatte man sie auf die vibrierenden Betten gesetzt, um Hamburger aus einer Papiertüte zu essen und fernzusehen. Jenseits des überwucherten Motelzauns raste der Verkehr vorbei, die Mondsichel glühte wie ein zur Hälfte geschlossenes Auge.
Grace bog um die Ecke, und in ihrem Nacken kribbelte es. Da war wieder das Gefühl, beobachtet zu werden. Sie sah nach unten zum Parkplatz …
… und runzelte die Stirn. Mittlerweile war es fast dunkel, aber im Licht einer einsamen Straßenlaterne konnte sie sehen, dass die Tür der schwarzen Limousine offen stand. Also hatte sich Stewart nicht damit zufrieden gegeben, einfach dazusitzen und sie zu beobachten. Unmut stieg in ihr auf. Wussten sie denn nicht, was sie alles durchgemacht hatte, was sie überlebt hatte? Wer waren sie denn schon, um sie auf diese Weise zu beobachten?
Mit einer Willensanstrengung kämpfte sie den Ärger nieder. Sie machen bloß ihren Job. Warum machst du es ihnen nicht ein bisschen einfacher, indem du wieder in dein Zimmer gehst?
Hohlblock-Ziegel und bemalte Türen glitten an ihr vorbei.
Sie war fast da, als sie es hörte: ein leises Schnüffeln und Grunzen. Es erinnerte sie an einen Hund, der seine Nase in etwas Matschiges gesteckt hatte. Der Laut kam aus der Öffnung einer dunklen Passage, die den Zimmerblock dieser Etage teilte und zu einer Treppe an der Hinterseite des Motels führte. Sie blieb vor dem Durchgang stehen, schaute hinein.
Das Erste, was sie sah, waren die Schuhe, deren Spitzen nach oben zeigten, deren poliertes Leder im grünen Licht eines AUSGANG-Schildes glänzte. Es waren große Schuhe, die teuer aussahen. Sie legte den Kopf schief, versuchte zu verstehen, was sie da sah. Dann sandte die Straßenlampe eine stakkatohafte Lichtflut aus, und in dem kurzen grellen Schein sah Grace alles.
Der Sucher-Agent – seiner Größe nach zu urteilen war es Stewart – lag auf dem Rücken, die großen Hände flach auf den Zementboden gelegt. Langsam breitete sich eine Blutpfütze aus. Etwas Spindeldürres und Haariges kauerte über ihm und fraß lautstark aus dem feuchten Loch, das sich dort befand, wo einst sein Gesicht gewesen war.
Gestank hüllte Grace ein; es roch metallisch, aber süßlich. Der Eiseimer entschlüpfte ihren tauben Fingern und landete scheppernd auf dem Gang. Ein Würfel rutschte auf die Kreatur zu, kam neben ihrem langen Fuß zum Halt. Sie stieß ein Schnauben aus und schaute auf. Die kurze, faltige Schnauze tropfte. Gewebestücke klebten auf dem stumpfen schwarzen Haar, das den Torso bedeckte. Einen Augenblick lang schaute Grace in blasse Augen, die viel zu groß für den niedrigen, spitzen Schädel waren, aus dem sie blickten. Dann blinzelte das Ungeheuer – ein satter, träger Ausdruck – und beugte sich wieder über sein Opfer, nahm den Kopf des Toten in die langen, gebogenen Arme und fraß weiter.
32
Türen rasten mit Furcht einflößender Langsamkeit an Grace vorbei, während sie lief – drei, vier, fünf. Ihre Finger rutschten vom Türknauf ab, dann war sie drinnen. Sie zog die Tür zu, suchte hektisch wie ein Tier nach dem Riegel, schob ihn an Ort und Stelle. Dann taumelte sie zurück. Die Bettkante traf ihre Kniekehlen, sie fiel rücklings darauf.
Travis kam aus dem Badezimmer, zwei angestoßene Gläser in den Händen, jedes zur Hälfte mit Scotch gefüllt. »Hast du das Eis?«
Sie starrte ihn an, befeuchtete sich die Lippen. »Ich glaube, wir stecken in Schwierigkeiten.«
Er sah sie an. Dann stellte er die Gläser ab, ging ans Fenster und blickte hinaus.
»Was ist los?«
»Ich weiß es nicht.« Ihre Hände zerknüllten die mit Zigarettenbrandlöchern übersäte Bettdecke. »Da draußen ist etwas. Ein Ding. Es … es frisst Stewart.«
Er drehte sich um, das Blut wich ihm aus dem Gesicht. »Hast du gesagt, es frisst ihn?«
Grace nickte steif.
»Scheiße, das ist
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