Die letzte Rune 05 - Der Tod der Götter
nicht länger wütend. Stattdessen taten sie ihr Leid, und sie hoffte, dass sie eines Tages das lernen würden, was sie gelernt hatte – dass der Schlüssel zur Macht nicht darin bestand, etwas haben zu wollen, das man nicht hatte. Stattdessen musste man den nötigen Mut aufbringen, um das zu erkennen, was man bereits sein Eigen nannte.
An einem der Tage ihrer Reise hatte sie dies alles ganz aufgeregt Lirith durch die Weltenkraft erklären wollen. Doch da war vor ihrem geistigen Auge ein Bild erschienen: eine stolze Frau in Blau, die ein Schwert hielt, während sie von einem Schloss mit sieben Türmen fortritt, und vor der im Gras eine zusammengekrümmte Gestalt lag.
Du hast die Person vergessen, die für dich Qualen erlitt …
Schnell hatte Aryn den Faden zerrissen, der sich zwischen ihr und Lirith spannte. Die dunkelhaarige Hexe hatte ihr einen verblüfften Blick zugeworfen, aber Aryn hatte eine hastige Entschuldigung gemurmelt, sie sei müde, und war dann schlafen gegangen.
Aber von wem hatte die alte Mournisch da nur gesprochen? Es stimmte, es gab Leute, die für sie gelitten hatten, aber von denen hatte sie bestimmt keinen vergessen. Sie würde niemals Garf vergessen, der gestorben war, um sie vor dem wahnsinnig gewordenen Bären zu retten. Oder den tapferen und gebrochenen Sir Meridar, der sich geopfert hatte, um Tira und Daynen zu retten und sich in ihren Augen als würdig zu erweisen. Sicherlich konnte sie nicht so gefühllos sein, wie die alte Frau gesagt hatte.
Oder etwa doch? Sie hatte an einen Teil eines Verses denken müssen.
»Ihre schönen Schwestern beschimpften sie gestern.
Eines Tages werden sie um Vergebung rufen.
Mit dem Schwert in der Hand,
reitet sie übers Land
Und trampelt sie alle nieder mit den Hufen.«
In gewisser Weise erinnerten die Verse des Narren sie an die Worte des Drachen. Sfithrisir hatte behauptet, sie und Lirith seien dazu verdammt, die Hexen zu verraten. Hatte der Narr Tharkis etwa versucht, ihr das Gleiche zu sagen?
Aber Aryn würde niemals einer ihrer Schwestern einen Schaden zufügen. Nicht mal Belira. Der Narr und der Drache irrten sich. Mit Sicherheit waren der eine verrückt und der andere bösartig gewesen. Trotzdem hatten sie diese Gedanken während der ganzen Reise nach Süden heimgesucht; diese eine dunkle Wolke hatte die ansonsten wunderbare Reise überschattet.
Als sie jetzt durch die uralten, dicht bevölkerten Straßen von Tarras gingen, verbannte Aryn diese Sorgen aus ihren Gedanken. Es gab viel zu viel zu sehen, um über die Rätsel von Wahrsagerinnen, Narren und Drachen nachzudenken.
Nach den Docks durchschritten sie einen Triumphbogen aus weißem Stein, der die zumindest dreifache Größe des Tores von Schloss Calavere hatte, und betraten den dahinter liegenden Fünften Kreis der Stadt. Das war der größte der fünf Kreise und laut Falken der Ort, an dem die Tagelöhner und das einfache Volk lebten. Die Hauptstraße, die sie benutzten, war breit, makellos sauber und von säulenartigen Ithaya-Bäumen gesäumt, aber Aryn entgingen nicht die Mündungen staubiger Gassen, die zu schmal waren, als dass die Sonne ihren Boden hätte erreichen können. Aus den dunklen Einmündungen starrten schmutzige Gesichter. Aryn war froh, als sie durch einen weiteren Triumphbogen in den Vierten Kreis kamen.
Hier war die Hauptstraße viel steiler und stieg schnell an größeren, gepflegteren Wohnhäusern und Geschäften vorbei in die Höhe. Geißblatt schlang sich um Eisentore und erfüllte die Luft mit süßem Duft, überall ertönte das Geplätscher von Springbrunnen. Der Vierte Kreis war die Heimat der Kaufleute und Handwerkergilden. Offensichtlich genossen die Kaufleute hohes Ansehen in der Stadt, wenn man nach der Schönheit ihrer Häuser ging. Aber Falken erklärte, dass die Kreise von Tarras so arrangiert waren, dass die höchsten und am weitesten entfernten den Klassen mit der größten Macht gehörten.
Kurz darauf betraten sie den Dritten Kreis, der dem tarrasischen Militär gehörte. Sie gingen an blanken Wänden vorbei, in denen in unregelmäßigen Abständen Türen eingelassen waren, die jeweils von zwei Soldaten bewacht wurden. Verglichen mit den Rittern der Domänen trugen die tarrasischen Soldaten eine seltsame Tracht. Der Oberkörper wurde von einem Lederwams und einem Brustpanzer aus gehämmerter Bronze bedeckt, und auf dem Kopf saß ein Bronzehelm, aber ansonsten trugen sie nur noch einen kurzen Kilt, der die Beine nackt ließ, und Sandalen an den
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