Die letzte Rune 05 - Der Tod der Götter
zusammen und zwang sein Blut, sich abzukühlen. Meister Tharkis’ Spiel bestand darin, andere zu einer Reaktion zu provozieren, und Durge hatte nicht vor, ihm den Sieg zu überlassen. Er mochte ja ein König gewesen sein, aber Durge wusste, dass die Dinge sich verändern konnten – dass sich Menschen veränderten. Tharkis war nur ein Ärgernis.
»Ich sagte, aus dem Weg, Narr. Glaubt nicht, ich würde Euch nicht aus meinem Weg entfernen, falls es nötig sein sollte.«
Tharkis zitterte vor gespielter Furcht, die Glöckchen seines Kostüms bimmelten. »O schrecklicher Ritter, bitte verschont mich – ich bringe Neuigkeiten über Euer Wild, garantiert, es lohnt sich.«
Durge runzelte die Stirn. Er wusste, dass es schon gefährlich war, allein den Worten des Narren zuzuhören, sie sollten nur verwirren, trotzdem entfuhr ihm die Frage.
»Welches Wild meint Ihr?«
Tharkis grinste und entblößte verfaulte Zähne. »Die Spinnen natürlich – die Netzweberinnen. Hat die Monddame Euch nicht ausgeschickt, sie auszuspionieren?«
»Was wisst Ihr darüber? Wart Ihr in der Bibliothek, habt Ihr uns belauscht?« Durge hob die Faust und ging auf ihn zu. »Sagt es mir, Narr, oder ich prügle es aus Euch heraus.«
Tharkis wich einen Schritt zurück. »Nein, nein, Furcht einflößender Ritter, ich habe nichts gehört. Ihr braucht den Narren nicht zu würgen, das wäre ja unerhört. Aber ich weiß Dinge, ich weiß nur nicht, woher. Manchmal sind sie da, egal was ich begehr.«
Durge senkte die Faust. Etwas an dem Narren veränderte sich; das verrückte Grinsen erlosch, und sein Blick glitt in die Ferne.
»Was wollt Ihr damit sagen, Narr? Woher wisst Ihr Dinge?«
Tharkis presste den dürren Körper gegen eine Steinwand. »Ich glaube … ich glaube, es liegt an dem, was man mir angetan hat.« Er fuhr sich mit der Zunge über die Lippen, dann flüsterte er. »Da gibt es so vieles, genau vor mir. Ich kann alles sehen. Die Augen … die Augen sind in den Bäumen, und die Schatten greifen nach mir. Ich stürze, und mein Pferd läuft davon, und ich renne … aber die Schatten sind zu schnell. Sie erwischen mich.«
Durge starrte den Narren an. Erst allmählich wurde ihm bewusst, dass er nicht länger in Versen sprach.
Der Narr legte die knochigen Arme um den Kopf. »Da ist zu viel, zu viel. Ich kann alles sehen, was geschehen ist, aber es ist in Einzelteilen, wie tausend zerbrochene Spiegel, die ich nicht mehr zusammensetzen kann. Nur die Verse, die Verse ergeben einen Sinn. Nur sie passen zusammen. Die Schatten sind in meinem Kopf …«
Tharkis’ Körper versteifte sich, sein Mund öffnete und schloss sich wie bei einem Fisch an Land. Durge zögerte, dann griff er nach ihm.
Eine knochige Hand schlug seine zurück. Der Narr sprang mit einem sauberen Salto zurück. Seine schielenden Augen funkelten wieder, und das Grinsen war zurückgekehrt.
»Ihr könnt mich nicht fangen, alter Ritter – auf meinen Füßen bin ich flink wie ein Gewitter.«
Der Narr hatte sich einen Augenblick lang verändert. Er war eher wie ein kleines, verängstigtes Kind erschienen als wie ein verrückter Spaßmacher. Aber was auch geschehen war, der Augenblick war vorbei, und Durge hatte genug von ihm.
»Und Ihr werdet von meinen Füßen getreten, Narr, wenn Ihr mir jetzt nicht aus dem Weg geht. Und zwar jetzt!«
Durge setzte sich kurzerhand in Bewegung, und Tharkis wurde zu einem Luftsprung gezwungen, der in einen Salto umgewandelt wurde, damit er nicht einfach umgerissen wurde. Ein misstönendes Bimmeln ertönte, als der Narr hinter Durge landete, aber der Ritter ging einfach weiter. Tharkis’ schrille Stimme rief hinter ihm:
»Die Spinne, sie webt ein schimmerndes Netz,
Sie will uns alle mit dem Faden einfangen. Aber alle ihre Pläne scheitern.
Wenn sie sich im eigenen Netz fängt.
Wer ist die Spinne, wer die Fliege?
Diese Frage müsst Ihr beantworten;
Wenn man eine Spinne fangen kann,
Wer hat das Netz des Fängers gewebt?«
Die Worte verklangen in der staubigen Luft, aber Durge machte sich nicht die Mühe, ihm zu antworten. Stattdessen verschloss er seine Ohren vor den Geistern und dem Wahnsinn und stapfte den Korridor entlang.
12
In der hektischen Betriebsamkeit der drei Tage zwischen der ersten Zusammenkunft des Großen Hexenzirkels und der Großen Beschwörung – wo die Hexen ein neues Muster weben würden, das bis zu ihrer nächsten Zusammenkunft Bestand hatte – konnte Lirith die Träume beinahe vergessen. Und das Knäuel,
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