Die letzte Rune 05 - Der Tod der Götter
so lange verkünden, wie du willst.«
Der Barde schnaubte, dann stapfte er los, Melia im Schlepptau.
»Sie empfinden tief für einander«, sagte eine ernste Stimme nach einem Moment.
Lirith hatte Durge beinahe vergessen; das graue Wams des Ritters verschmolz mit dem Dämmerlicht. Aber noch mehr überraschten sie seine Worte, denn für den gewöhnlich so verschlossenen Ritter schien es ein feinfühliger Kommentar zu sein. Aber Lirith kannte die Wahrheit, die von dem gerüsteten Äußeren verborgen wurde.
»Ich glaube, wir werden niemals verstehen können, was sie zusammen durchgemacht haben«, sagte sie.
Durge nickte bloß. In dem dürftigen Licht schien sein zerfurchtes Gesicht noch ernster als je zuvor. Aber es war nicht allein das Licht. In den vergangenen Tagen war die Düsterkeit, die der Ritter ausstrahlte, mehr zu einem Mantel der Trauer geworden. Zum ersten Mal hatte Lirith es an dem Tag bemerkt, an dem Melia und Falken auf Ar-Tolor eingetroffen waren. Sie hatte Durge seitdem nur selten gesehen, aber jedes Mal war er ihr trauriger erschienen.
»Was ist los, Durge?«, fragte sie. »Ist etwas geschehen?« Sie streckte die Hand nach ihm aus.
Der Ritter riss die Augen auf und zuckte vor ihr zurück. Sie krümmte die Finger, senkte den Arm. Dann machte Durge einen halben Schritt auf sie zu, als wäre ihm klar geworden was er da getan hatte.
»Mylady …«
»Nein, Durge, ich mache Euch keinen Vorwurf. Nicht nach dem, was ich Euch in der Ödnis angetan habe. Es ist klug von Euch, auf Distanz zu bleiben.«
Einen langen Augenblick herrschte Schweigen.
»Habt Ihr es ihr erzählt?«, fragte Durge schließlich.
»Nein, das habe ich nicht«, sagte Lirith. »Ich habe Euch mein Wort gegeben. Ich werde es ihr niemals sagen.«
Durge nickte. »Das ist gut so, Mylady.«
Ohne ein weiteres Wort zu verlieren, drehte sich der Ritter um und verließ den Schrein. Lirith seufzte und blickte auf der Suche nach Trost in Mandus leere Augen. Aber der Gott lächelte bloß und wartete auf seinen unausweichlichen Tod.
14
Draußen vor dem Fenster senkte sich purpurfarbenes Zwielicht herab, während Aryn mit ihrem schneeweißen, leise raschelnden Festgewand bekleidet in ihrem Gemach auf und ab ging und leise vor sich hin sprach.
»Die Kerze löschen, die Glocke läuten, dann die Beschwörung sprechen. Die Kerze löschen, die Glocke läuten, dann die …«
Sie erstarrte und schaute mit weit aufgerissenen Augen auf. »Oder zuerst die Glocke läuten, die Beschwörung sprechen und dann die Kerze löschen?«
Ihr Schädel brummte, als wäre ihr Gehirn von einem Schwarm Motten ersetzt worden. Kein Gedanke wollte lange genug stillhalten, um von ihr erfasst zu werden.
Entsetzen stieg in ihr auf. Was würde passieren, wenn sie das Ritual falsch durchführte? Würde sich das ganze Muster auflösen? Sie war sich nicht sicher, aber eines wusste sie genau: Wenn sie ihre Rolle als Jungfrau nicht perfekt spielte, würde Tressa sie in eine Mücke verwandeln.
Aryn holte tief Luft.
Konzentriere dich, Schwester. Du kannst das schaffen. Denk daran, jeder wird zusehen.
Sie wurde von Panik erfüllt.
Schon gut, denk also nicht daran. Denk einfach an deine letzte Unterrichtsstunde mit Tressa. Alles lief perfekt.
Ein Hauch Ruhe schlich sich in Aryns Verstand, und das Rauschen in ihrem Kopf ließ etwas nach. Wie konnte sie nur so eine Gans gewesen sein? Es waren Glocke, Kerze und dann …
Das Klopfen an der Tür zerstörte ihre Konzentration. Ein Zweites Klopfen trieb sie an. Sie eilte zur Tür und öffnete sie.
»Nun, es wird auch Zeit, Kleines. Diese alten Knochen werden vom Rumstehen nicht jünger.«
Aryn schluckte. Die Zusammenkunft hatte noch nicht einmal angefangen, und sie machte schon Fehler. »Es tut mir so Leid, Schwester Senrael. Ich wollte Euch keine Mühe bereiten.«
Die Alte lachte. »Nein, natürlich nicht, Kleines. Nicht so ein Schatz wie du. Du hast keinen bösen Gedanken im Kopf. Aber keine Angst. Wenn es Sias Wille ist, wirst du alt werden und eines Tages genauso unausstehlich sein wie ich.«
Ihr irrt Euch, wollte Aryn sagen. Ich habe einen Mann mit meiner Magie getötet. Ist das nicht böse genug? Aber sie brachte es nicht über die Lippen.
»Komm, Kleines. Der Mond geht bald auf. Bis dahin müssen wir fertig sein.«
Das aschgraue Gewand der Frau knisterte, als sie sich umdrehte und den Korridor entlanghumpelte. Aryn eilte ihr mit pochendem Herzen hinterher.
Werde ich entscheiden müssen, was in das Muster
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