Die letzte Rune 05 - Der Tod der Götter
aufgenommen wird?, hatte sie Tressa nervös am Morgen gefragt.
Nur so weit das jede Hexe tut, hatte die rothaarige Frau geantwortet. Alle Fäden sind mit dem Muster verwoben. Die Jungfrau, die Mutter und die Greisin sind nur da, um zu helfen, so wie das Weberschiffchen hilft, während des Webens einen Faden durch die Kettenfäden zu führen. Aber es sind die Fäden, die das Muster bestimmen.
Nach dem Treffen mit Tressa hatte sich Aryn auf die Suche nach Lirith gemacht, um zu sehen, ob ihre Freundin ein paar weise Worte für sie hatte. Aber sie hatte Lirith nirgendwo finden können.
Du wirst sie ja beim Großen Hexenzirkel sehen, hatte sie sich gesagt. Doch aus irgendeinem Grund bereitete ihr Liriths Abwesenheit Sorgen.
»Da soll sie doch alle der Blitz treffen«, sagte Senrael und blieb so plötzlich stehen, dass Aryn beinahe in sie hineingelaufen wäre.
»Was ist?«, fragte die Baronesse und hoffte, nicht in den ziemlich weit gefassten Kreis des Fluchs der alten Hexe zu geraten.
»Ich habe doch gewusst, dass ich die letzte Tasse Maddok nicht hätte trinken sollen«, knurrte Senrael. »Jetzt muss ich auf den Abort. Am besten gehst du schnell in den Garten zur Königin. Ich komme gleich.«
Die Alte verschwand hinter einer Tür. Aryn hätte lieber auf sie gewartet, aber man gehorchte den Älteren. Und es war ja nicht so, als würde sie den Weg in den Garten nicht kennen. Mit einem Seufzen setzte sie sich wieder in Bewegung.
»Wenn das nicht unsere neue Jungfrau ist«, sagte eine säuselnde Stimme.
»Jungfrau?«, meinte eine andere hohe, helle Stimme. »Ich würde sagen, doch wohl eher eine halbe Jungfrau.«
Furcht nagelte Aryn an Ort und Stelle fest. Sie drehte sich um, suchte nach der Quelle der Stimmen.
»Was? Ihr könnt uns nicht sehen?«
In der Nähe stand ein Torbogen, der von Schatten verhüllt wurde – die sich jetzt auflösten. Dort standen sechs junge Frauen in grünen Kleidern eng beieinander. Sie traten einen Schritt vor, und Aryn erkannte einige von ihnen als die Hexen, die bei der ersten Zusammenkunft des Hexenzirkels bei Cirynn gestanden hatten.
»Seht nur, wie sie uns anstarrt«, sagte eine blonde Frau und lachte. »Man könnte glauben, sie hätte noch nie zuvor einen Schattenzauber gesehen.«
Aryn schaffte es, ihre Stimme wieder zu finden. »Ich habe schon Zauber gesehen.«
Sie bereute die Worte sofort, ihre Stimme zitterte wie die eines kleinen Mädchens.
»Aber natürlich habt Ihr das, Kleines.«
Die anderen Hexen lachten über die Worte, die von einer jungen Frau mit braunen Augen kamen. Aryn kannte sie. Sie hatte Aryns Gruppe verlassen, um sich zu Cirynn zu gesellen. Aryn hatte später ihren Namen erfahren, sie hieß Belira.
»Das Gewand steht Euch nicht«, sagte Belira und trat vor, während die anderen lächelnd und mit erwartungsvollen Blicken zusahen. »Aber es ist ja auch für jemand anders gemacht worden, nicht wahr?«
Aryn fühlte, wie sie in dem Festgewand zusammenschrumpfte, so wie eine Schildkröte, die sich in ihren Panzer zurückzog. Das weiße Gewand war schwerer als das grüne Kleid, das sie zuvor getragen hatte, aber es verbarg nicht ihren verkümmerten Arm. Sie wollte weitergehen, aber Belira vertrat ihr den Weg.
»Warum tut Ihr das?«, stieß Aryn hervor, bevor sie es verhindern konnte.
Belira kniff die Augen zu Schlitzen zusammen. »Ich werde es so ausdrücken, dass selbst Ihr es versteht. Wir mochten Cirynn, und Euch können wir nicht leiden. Verstanden?«
Aryn schüttelte den Kopf; sie brachte kein Wort heraus.
Die blonde Hexe trat einen Schritt vor. »Was ist sie doch nur für ein einfältiges Ding. Ein Arm und einen halben Verstand. Wie auf Eldh kann sie die Jungfrau werden statt einer von uns?«
»Ivalaine hat mich auserwählt«, schaffte es Aryn zu sagen.
Belira schürzte die Lippen, und der Ausdruck verwandelte die geringe Schönheit ihres Gesichts zu einer hässlichen Grimasse. »Ja, Ivalaine. Aber das wirft nur eine weitere Frage auf – warum ist sie die Mutter und nicht Liendra? Jeder weiß, dass Schwester Liendra für alle Hexen spricht.«
Aryn fühlte, wie sich ein Teil ihrer Furcht in Wut verwandelte. Für wen hielten sich diese jungen Frauen eigentlich, dass sie glaubten, so viel zu wissen?
»Ihr irrt Euch, Schwester Belira. Liendra spricht nicht für jeden – sie spricht nicht in meinem Namen. Jetzt lasst mich vorbei.«
Sie wollte einen Schritt nach vorn machen, aber die anderen bauten sich im Kreis um sie auf. Aryn fühlte, wie ihr
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