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Die letzte Rune 05 - Der Tod der Götter

Titel: Die letzte Rune 05 - Der Tod der Götter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anthony Mark
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hervor und griff nach ihr.
    »Mylady?«
    Die Ecke der Halle war leer, das Knäuel war verschwunden. Vor Lirith stand eine Dienerin, kaum älter als ein Mädchen, mit schmutzigem Gesicht.
    »Verzeiht, Mylady, aber seid Ihr krank? Soll ich nach den Männern der Königin schicken?«
    Lirith fand ihre Stimme wieder. »Nein, mir geht es gut. Danke.«
    Die Dienerin senkte den Kopf und eilte aus der Halle.
    Lirith sah erneut in die Ecke, aber sie wusste, dass sie es selbst dann nicht wieder sehen würde, wenn sie die Gabe benutzte.
    Aber es ist noch immer da. Ich kann es fühlen. Und es wächst.
    Aber was hatte es zu bedeuten?
    Da kam ihr ein Gedanke. Es gab jemanden, der es möglicherweise wusste – jemand, der älter und weiser als jede Hexe im Schloss war. Lirith schürzte die Röcke ihres Gewandes und lief aus der Halle.

13
    Melia war nicht in ihrem Gemach.
    »Es tut mir Leid, Lirith«, sagte Falken und schaute von seiner Flöte auf. »Ich fürchte, sie hat heute eine ihrer Launen. Ich habe sie nicht gefragt, wo sie hinwollte.«
    In einer Stunde hatte Melia nicht weit gehen können; zumindest nahm Lirith das an. Andererseits gebot sie über Kräfte, die Lirith nicht einmal annähernd begreifen konnte. Und genau das war der Grund, warum sie sie finden musste.
    »Danke, Falken«, sagte sie atemlos.
    Falken wollte etwas erwidern, aber bevor er dazu kam, hatte sich Lirith schon umgedreht und war auf den Korridor hinausgelaufen.
    Sie versuchte es nacheinander und nach dem Zufallsprinzip im Großen Saal, den Bädern, der Bibliothek und sogar auf den Aborten, aber sie hatte kein Glück. Danach ging sie nach draußen. Aber weder auf dem Burghof noch in den Obstgärten oder den Ställen war auch nur eine Spur von Lady Melia zu finden. Schließlich war Lirith gezwungen, anzuhalten und sich an eine Mauer in der Nähe von Ar-Tolors Nordturm anzulehnen. Sie war außer Atem und hatte alle Orte des Schlosses durch, ohne die Lady mit den Bernsteinaugen zu finden. Dann würde sie eben später mit Melia sprechen müssen.
    Und wie sehr wird es in der Zwischenzeit wachsen?
    Sie zog in Betracht, zu Ivalaine zu gehen und ihr zu erzählen, was sie gesehen hatte, aber etwas hielt sie davon ab. Falls andere Hexen das Knäuel gesehen hätten, hätte sie bestimmt davon gehört. Das bedeutete, dass aller Wahrscheinlichkeit nach sie die Einzige war, die es sah. Und in diesem Fall würde Ivalaine sie möglicherweise einfach für verrückt oder krank erklären und sie aus dem Zirkel entfernen. Das konnte Lirith nicht zulassen.
    Es würde eben warten müssen, bis sie Melia wieder sah. Und wenn die Lady ihr nicht helfen konnte, dann würde sie zu Ivalaine gehen. Sie holte tief Luft und ging auf den Bergfried des Schlosses zu. Aber als sie leisen Gesang hörte, fiel ihr ein, dass es einen Ort gab, an dem sie noch nicht nachgeschaut hatte.
    Der Schrein war klein und lag im Schatten; eigentlich war er kaum mehr als ein hölzerner Verschlag, der an der Außenmauer des Schlosses lehnte. Doch die Mysterien von Mandu dem Sterbenden waren in den Domänen nie besonders populär gewesen, in Toloria schon gar nicht. Die meisten Mysterienkulte boten ihren Anhängern Erlösung und das Versprechen, dass nach dem Tod eine Zeit der Freude kam. Doch der Kult des Sterbenden Gottes versprach denen, die sich ihm anschlossen, gar nichts – keinen ewigen Frieden, kein goldenes Paradies. Stattdessen bot er nur die Geschichte seiner Gottheit: Mandu, der geboren wurde, heranwuchs und wieder und wieder durch Verrat ermordet wurde, und zwar so unweigerlich, wie der Tag von der Nacht gestohlen wurde.
    Nun mochte der Mandu-Kult in Toloria nie populär gewesen sein, aber Lirith wusste, dass sie sich davon nicht stören lassen würde. Es waren ihre Brüder und Schwestern, oder etwa nicht? Lirith betrat den dunklen kleinen Schrein.
    Melia tanzte.
    Lirith erstarrte. Der Gesang war nun viel deutlicher zu hören; es war Melia gewesen, die sie draußen gehört hatte. Die Stimme der Lady war so hell wie polierter Kupfer, sie schwoll an und senkte sich wieder in einer wortlosen Melodie, die Lirith in gewisser Weise an die wogenden Weisen der Mournisch erinnerte.
    Während Melia sang, bewegte sie sich langsam im Kreis und hielt die Arme in eleganten Posen. Ihr Kopf war in den Nacken gelegt, sodass ihr onyxfarbenes Haar auf den weißen Rücken ihres Kleides fiel. Ihre Augen waren vor Verzückung geschlossen. Auf dem steinernen Altar stand eine Elfenbeinstatue von Mandu; er hielt die

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