Die letzte Rune 05 - Der Tod der Götter
auf eurer Reise leiten«, sagte sie. Dann drehte sie sich um, ging mit wehendem grünem Kleid in den Garten hinein und war verschwunden.
Aryn runzelte verwirrt die Stirn. »Was hatte das denn zu bedeuten? Welche Reise meinte sie denn?«
Lirith dachte an den jungen Prinzen Teravian und den traurigen Ausdruck auf seinem Gesicht.
Ihr werdet bald abreisen …
»Komm«, sagte sie und griff nach Aryns Arm. »Ich glaube, ich brauche eine starke Tasse Maddok.«
16
» Braucht Ihr sonst noch etwas, Mylady?«
Aryn wandte sich nicht von dem polierten silbernen Spiegel ab und richtete ihr Gewand.
»Nein, Elthre. Danke.«
Der Spiegel zeigte, wie die Dienerin einen Knicks machte und dann aus dem Zimmer schlüpfte. Aryn lächelte – Elthre war ein liebes Mädchen, wenn auch etwas schüchtern –, dann konzentrierte sie sich und schloss mit geübten Bewegungen ihrer linken Hand die Schnallen und band die Bänder ihres Gewandes zu. Es war erst kurz nach Sonnenaufgang, aber sie war schon vor über einer Stunde aufgewacht, und ihr Körper hatte noch immer mit der Magie des Musters gekribbelt. Sie hatte sich bis weit nach Mitternacht mit Lirith unterhalten, aber seit dem Aufwachen waren ihr weitere hundert Fragen eingefallen, die sie der Hexe mit den dunklen Augen stellen wollte.
Vor ihrem geistigen Auge sah Aryn erneut die Erschaffung des Musters und wie sich die letzten übrig gebliebenen Fäden – darunter auch ihrer und Liriths – mit dem Strang verbunden hatten, der in ruhigen, beständigen Worten gesprochen hatte. Es bestand kein Zweifel daran, dass es Schwester Mirda gewesen war. Aber wer war diese weise, besonnene Hexe? Und wo war sie hergekommen? Es schien niemand zu wissen, nicht einmal Lirith. Und doch war es Mirda gewesen, die verhindert hatte, dass sich alle Hexen Liendras Gewebe anschlossen.
Aber die meisten taten es, Aryn. Selbst Ivalaine hat sich am Ende mit dem Zentrum des Musters verbunden.
Doch mit Sicherheit war Ivalaine keine andere Wahl geblieben, nicht wenn sie auch weiterhin die Mutter bleiben wollte. Und auf diese Weise würde sie vielleicht einen gewissen Einfluss auf Liendras Fraktion haben. Zumindest hoffte Aryn das. Allerdings hatte sie seit dem Hexenzirkel weder Tressa noch die Königin gesehen.
Sie war auch Senrael nicht mehr begegnet. Es war nicht richtig, wie man die Alten zur Seite gedrängt hatte. Ihre Stimmen waren heiser, aber sie verfügten über solche Weisheit. Schönheit hatte so wenig mit wahrer Macht zu tun. Aber man hatte die alten Vetteln an den Rand des Musters verbannt, und hätte Mirda nicht gesprochen, hätten die Hexen vermutlich geschworen, alles zu tun, um den Runenbrecher zu vernichten – möglicherweise sogar Blut zu vergießen. So, wie es geendet hatte, war Aryn froh, dass Travis Wilder nicht auf dieser Welt weilte. Und obwohl sie ihn gern wieder gesehen hätte, hoffte sie dennoch, dass er seine Heimat nie wieder verlassen würde. Um seinetwillen. Und vielleicht um Eldhs willen.
Sie entschied, auf das Frühstück zu verzichten und direkt zu Lirith zu gehen. Sie konnte nur hoffen, dass die Hexe schon wach war. Aber im Augenblick konnte sich Aryn nicht vorstellen, wie jemand schlafen konnte.
Außerdem gibt es noch immer Maddok. Wenn du ihr eine Tasse mitbringst, wird sie nicht widerstehen können und aufstehen, um sie zu trinken. Was das Zeug angeht, ist sie wie eine Biene beim Honig.
Sie hatte ihr Gewand richtig angezogen, dann fing sie an, eine Stofffalte über ihren rechten Arm zu schieben. Es war eine völlig instinktive Bewegung, die sie, solange sie sich erinnern konnte, jeden Tag getan hatte.
Aber plötzlich zögerte sie. Langsam schob sie den Stoff zurück über ihre Schulter und ließ den rechten Arm in seiner Leinenschlinge entblößt.
Sie starrte ihr Spiegelbild an. In ihrer Vorstellung hatte sie sich niemals mit ihrem verwachsenen Arm gesehen, sie hatte ihn sich immer verborgen vorgestellt. Aber als sie das blasse, verkrümmte Glied jetzt so betrachtete, konnte sie es sich auf keine andere Weise vorstellen. Es war seltsam, ja, das schon, aber das war sie, wie sie nun einmal war …
Eine Wärme erfüllte sie, fast schon so etwas wie Leichtsinn. Sie hatte sich immer davor gefürchtet, dass andere Menschen ihren Arm sahen, aber jetzt freute sie sich schon beinahe darauf. Sollten sie sie doch anstarren, sollten sie doch wie Belira spotten. Es würde sie nur noch stärker machen. Lächelnd richtete sie die Schlinge, dann ging sie in Richtung
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