Die letzte Rune 05 - Der Tod der Götter
bei Ellen Nickel benutzt hast. Und bete, dass du genug Blut in dir hast, um deine Erlösung zu bekommen …
Purpurrotes Licht blitzte auf, und Schmerz durchstach Grace bis in ihr Innerstes, hell und scharf und …
Mit einem Geräusch, das wie das Sprudeln von Wasser klang, zog der Schatten sich zurück. Grace blinzelte gegen den Schein der Leuchtstofflampe an und stellte erleichtert fest, dass der Gang leer war. Auf Schloss Spardis hatte Beltan im Sterben gelegen; der Nekromant hatte seine alten Wunden wieder geöffnet. Um den Ritter mit der Gabe am Leben halten zu können, während sie zur Erde reisten, hatte Grace den Schatten akzeptieren müssen, der sich an ihren Lebensfaden angeheftet hatte, den Schatten, den sie so viele Jahre lang einfach nicht zur Kenntnis genommen hatte, als gäbe es ihn gar nicht. Und nachdem die Tür nun endlich geöffnet worden war, konnte sie sie nicht mehr schließen.
Es steckte einfach keine Logik hinter dem Erscheinen des Schattens; anscheinend konnte alles und jedes die Erinnerungen hervorrufen. Manche waren kurz, so wie diese. Andere … waren es nicht. Doch alle ließen sie schwitzend und zitternd zurück, und sie fühlte sich danach, als sei sie mit einer Schere aus einem Bogen dicken, weißen Papiers geschnitten worden. Bislang war es ihr gelungen, die Rückblenden vor Travis zu verbergen; er machte sich schon genug Sorgen über Beltans Zustand. Doch sie fragte sich, wie lange sie das noch durchhalten konnte.
Sie erinnerte sich noch immer nicht an alles, was ihr im Beckett-Strange-Heim für Kinder widerfahren war – es war so viel, und der Schatten war so tief –, doch sie hatte den Eindruck, dass ihr fast täglich neue Einzelheiten einfielen. Immer, wenn sie glaubte, es gäbe nichts mehr, was ihr noch einfallen könne, tauchte der Schatten auf, und sie war wieder ein Kind: fünf Jahre alt, eine blasse Neunjährige, dreizehn, während Flammen sie umtanzten.
Sie zwang sich, sich darauf zu konzentrieren, die unergründliche Art und Weise zu entschlüsseln, wie die Zimmer des Krankenhauses nummeriert waren. Selbst als sie hier gearbeitet hatte, war ihr der Sinn dahinter verborgen geblieben. Dann sah sie das Plastikschild mit der Prägung: CA-423. Das war die Zimmernummer, die Travis ihr genannt hatte. Sie riss die Tür auf und betrat den Raum dahinter.
Geräte und Monitore zischten und piepten und erfüllten das kalte, weiße Zimmer mit einem Dröhnen, das wie ein Chorgesang elektronischer Mönche klang. Eine dralle Krankenschwester stand neben dem Bett, das stellenweise ergraute Haar ordentlich zu einem Knoten am Nacken zusammengebunden, und überprüfte die Tropffrequenz einer Infusion. Sie sah mit einem neugierigen, aber nicht überraschten Ausdruck auf dem Gesicht zu ihr hoch.
Grace zögerte kurz und stürmte dann in das Zimmer. Während ihrer Zeit in den Domänen hatte sie herausgefunden, dass man sich nur benehmen musste, als gehöre man hierher, und die Leute glaubten es einem unweigerlich.
»Kann ich Ihnen helfen, Frau Doktor?«
»Das bezweifle ich«, sagte Grace und warf einen schnellen Blick auf das Krankenblatt am Bett. »Dr. … Chandra hat erwähnt, er habe hier einen hartnäckigen Koma-Fall. Ich führe eine Studie durch.«
Die Schwester runzelte die Stirn. »Eine Studie? Welche Abteilung finanziert sie denn?«
Eine so starke Entrüstung stieg in Grace empor, dass sie selbst davon verblüfft war. Wieso wagte diese Frau es, ihre Autorität in Frage zu stellen? Sie wollte schon den Mund öffnen und ihrer Wut Ausdruck verleihen.
Hör auf, Grace. Hier hält dich niemand für eine Herzogin. Du kannst nicht einfach jemanden mit einer Handbewegung entlassen.
Fürwahr, sie war keine Adlige. Aber sie war eine Ärztin, und das bedeutete an diesem Ort mehr als eine juwelenbesetzte Krone.
Sie bedachte die Schwester mit einem steifen, unpersönlichen Lächeln. »Warum lassen Sie uns nicht mal kurz allein?«
Die Schwester starrte sie einen Herzschlag lang an, klappte dann mit einer schnellen Bewegung ihr Aluminium-Klemmbrett zusammen und segelte hinaus – zweifellos ins Schwesternzimmer, um die Kolleginnen zu warnen, dass sie sich vor einer hageren neuen Hexe von Ärztin in Acht nehmen mussten. Damit lag sie auch nicht völlig falsch. Grace dachte nicht mehr an die Schwester und trat ans Bett.
Sie hatte Beltan seit dem Tag nicht mehr gesehen, an dem Travis auf Spardis die beiden halben Münzen zusammengeführt und Eldh zurückgelassen hatte. Einen Herzschlag
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