Die letzte Rune 05 - Der Tod der Götter
später hatten sie geblinzelt, als das silberne Licht um sie aufleuchtete und sie sich neben einem Müllcontainer keine zehn Meter vom Eingang der Notaufnahme entfernt wieder fanden. Travis war hineingelaufen, um Hilfe zu holen, und mehrere Sekunden waren verstrichen, und jede einzelne davon war eine Qual gewesen. Die Weltenkraft war auf der Erde präsent – Grace hatte sie nun, da sie wusste, wie sie danach suchen musste, sofort gespürt –, doch sie war überfüllt, laut und schmutzig. Und dünn, so schrecklich dünn, ein seidenes Garn, das in einen dreckigen Lappen gewebt worden war. Beltans Lebensfaden war ihr durch die Finger geglitten. Sie konnte ihn nicht festhalten.
Dann war glücklicherweise in einem Ansturm aus Bewegung und Licht das Personal der Notaufnahme zur Stelle gewesen. In dem Durcheinander hatte Travis sich davongeschlichen und Grace mit sich gezogen. Sie hatte bleiben, sich vergewissern wollen, dass sie ihn stabilisieren konnten, sie darauf hinweisen wollen, dass er niemals eine Tetanusspritze oder eine Impfung bekommen hatte, doch Travis hatte heftiger an ihrem Arm gezerrt. Es war zu gefährlich für sie, hier zu warten. Sie hatte einen letzten Blick auf Beltan geworfen, der bleich wie ein Geist auf dem nackten Asphalt lag, und dann waren sie in die trockene Nacht von Denver hinausgelaufen.
Die folgenden Tage waren ihr besonders unwirklich vorgekommen, als sei die Erde und nicht Eldh die fremde Welt. Immer wieder hatte Grace mit der Gabe hinausgegriffen, doch sie war sich wie eine frisch Amputierte vorgekommen, die einen Phantomschmerz festhalten wollte. Denn statt des leuchtenden Netzes der Spinnfäden zwischen allen Lebewesen fand sie lediglich schwache Echos der Magie.
Und da war der Schatten, der ohne Warnung vorsprang, um sie zu verzehren. Und wenn es ihr einmal gelang, die Gabe einzusetzen, oder sie sich nicht in den Schatten der Vergangenheit verfing, dachte sie fast immer an Tira – an das zerbrechliche, stumme, rothaarige Mädchen, das sich als so viel stärker als jeder andere von ihnen erwiesen hatte. Doch obwohl Tira von ihnen gegangen war, war sie alles andere als verloren. Ganz im Gegenteil. Dafür kam sich Grace verloren vor.
Wäre Travis nicht gewesen, hätte sie nicht gewusst, was aus ihr geworden wäre. Er schien sich an das Leben auf der Erde viel schneller als sie wieder anzupassen, als gehöre er tatsächlich hierher. Es war seine Idee gewesen, in einer Pfandleihe in East Colfax drei Goldmünzen von Eldh zu verkaufen, deren Vorder- und Rückseiten sie zuvor absichtlich zerkratzt hatten. Mit dem Geld hatten sie sich etwas zu essen gekauft. Und dann waren sie in einen Bus in die westlichen Bezirke von Colfax gestiegen, waren an abbröckelnden Ladenfassaden und flackernden Neonschildern vorbeigefahren. Im Blue Sky Motel hatten sie ein Zimmer gemietet, das aussah, als sei es seit den verblichenen sepiabraunen Tagen von 1965 nicht mehr renoviert worden. Das Fernsehgerät war so alt gewesen, dass Grace erwartet hatte, Alle lieben Lucy zu sehen, als sie es eingeschaltet hatte. Stattdessen war eine fast durchsichtige Rauchsäule emporgestiegen, als sich mehrere Kakerlaken aus den Belüftungsschlitzen in der Rückseite wanden. In gewisser Hinsicht war dieser Anblick aber genauso unterhaltend.
Am nächsten Morgen war Travis losgezogen, während Grace auf dem Bett liegen geblieben war, die durchhängende Decke anstarrte und vergeblich versuchte, mit ihrer Gabe die Weltenkraft zu berühren. Er war gegen Mittag mit Hefeteilchen und gefälschten Sozialversicherungsausweisen zurückgekehrt.
»Sag Hector Thorkenblat guten Tag«, hatte er gesagt und seine neue Karte hochgehalten.
Sie hatte die Nase gerümpft. »Das klingt weniger wie ein Name als nach etwas, das man aufwischen muss.«
Als sie ein paar Tage später einigermaßen sicher sein konnten, dass man sich nicht mehr von der Nacht ihrer Ankunft an sein Gesicht erinnern würde, war Travis mit seinem neuen Ausweis zum Denver Memorial gefahren und hatte Hector einen Job in der Nachtschicht des Reinigungspersonals besorgt. Und so hatten sie erfahren, dass Beltan lebte, aber im Koma lag.
Seit Travis im Krankenhaus arbeitete, hatte er alle paar Tage nach Beltan gesehen. Grace wusste, dass Beltan die beste Pflege bekam, die diese Welt zu bieten hatte – und das war beträchtlich mehr als das, was er auf der letzten bekommen hätte. Trotzdem musste sie ihn sehen, ihn selbst berühren. Selbst hier gab es Dinge, die sie spüren,
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