Die letzte Rune 07 - Die schwarzen Ritter
Handbewegung des Königs brachte sie zum Schweigen.
Aryn zwang sich, an den Tag vor Jahren zu denken, an dem sie nach Calavere kam – ein Mädchen von zehn Wintern, dessen Eltern beide tot waren, das zu dem König reiste, der von nun an sein Vormund sein würde. Sie würde nie vergessen, wie sie Boreas das erste Mal gesehen hatte. Er hatte auf dem Thron wie ein Riese ausgesehen, und als er sprach, hatte sich seine Stimme wie Donnergrollen angehört. Sie hatte ihn für den beeindruckendsten Mann gehalten, den sie je gesehen hatte, und es hatte sie ihren ganzen Mut gekostet, ihre Beine zu zwingen, zum Thron zu gehen und dort einen Knicks zu machen.
So war es wieder. Einen Augenblick lang lähmte die Grimmigkeit seines Profils sie. Falls sie sich eingebildet hatte, er würde vor Sorge ganz hager aussehen, erlebte sie eine Enttäuschung. Den grauen Stellen in seinem glänzenden schwarzen Bart und Haar zum Trotz erschien der König von Calavan so mächtig und eindrucksvoll wie immer.
Bevor ihr Zögern zu groß wurde, um aufzufallen, überwand Aryn den halben Weg bis zu seinem Stuhl und machte einen Hofknicks. »Ich bin gekommen, wie Ihr gewünscht habt, Euer Majestät.«
Er grunzte, sah aber noch immer nicht auf. »Ihr seid da, Lady Aryn. Aber kaum, wie ich gewünscht habe. Ich warte jetzt seit über einer Stunde auf Euch.«
»Ich hielt es für besser, den Schmutz der Reise abzuspülen, bevor ich vor Euch trete.«
»Tatsächlich, Mylady?« Endlich drehte er den Kopf und richtete den Blick auf sie. »Wisst Ihr eigentlich, dass Lady Grace einmal meinem Ruf in einem Gewand Folge geleistet hat, das mit dem Blut von Sir Garfethel getränkt war? Sie schien nicht der Meinung gewesen zu sein, dass ein Bad wichtiger als mein Befehl ist.«
Aryn seufzte, aber nicht wegen des Tadels, der in den Worten des Königs gelegen hatte, sondern wegen der Erinnerung an den wunderbaren Garf. Grace hatte alles in ihrer Macht Stehende getan, um den jungen Ritter von den von einem Bären geschlagenen Wunden zu heilen, aber es hatte nicht ausgereicht.
Boreas schien zu begreifen, dass seine Worte nicht den gewünschten Effekt hatten. »Wo ist Lady Grace?« Hörte sie da einen leichten Unterton der Enttäuschung in seiner Stimme? »Lord Farvel hat mir mitgeteilt, dass sie nicht mit Euch gekommen ist. Ist sie im Süden geblieben?«
Aryn trat noch einen Schritt vor und sprach so geradeheraus, wie sie nur konnte. »Sie befindet sich auf einem Schiff nach Toringarth, Euer Majestät, wo sie hofft, die verlorenen Teile von König Ulthers Schwert zu finden.«
Es war ein Fehler des Königs – oder eine Tugend, es kam darauf an, wen man fragte –, dass er keine oder kaum Anstalten machte, seine Gefühle zu verbergen. Auf seinem Gesicht zeigte sich Erstaunen, dem einen Augenblick später eine berechnende Vorsicht folgte. Er wusste genauso gut wie sie, dass die Mitteilung ihn schockieren und ihm demonstrieren sollte, dass sie Dinge wusste, die ihm unbekannt waren. Sie hatte es nicht aus einer Laune heraus oder aus Wut gesagt. Er war noch immer ihr König, und er würde immer ihren Respekt besitzen. Aber sie war kein kleines Mädchen mehr. Sie hatte viel getan und so viel gesehen, seit sie gewagt hatte, die Mauern dieses Schlosses hinter sich zu lassen. Das musste er begreifen, bevor diese Unterhaltung weiterging.
Es gab viele, die den König wegen seiner körperlichen Präsenz und seiner Neigung zu schnellem Handeln für nicht besonders intelligent hielten. Sie irrten sich. Aryn wusste, dass Boreas alles andere als dumm war. Er lehnte sich vor, seine Augen funkelten neugierig. »Setzt Euch, Mylady.« Er zeigte auf den Stuhl, der ihm gegenüber stand.
Ja, er hatte ihre Botschaft verstanden, und er schien darüber eher erfreut als verärgert zu sein. Aber Boreas hatte es schon immer vorgezogen, sich mit jenen direkt auseinander zu setzen, die es wagten, ihm Widerstand entgegenzubringen. Aryn hoffte von ganzem Herzen, dass sie diese Kraft hatte. Sie raffte ihr Gewand und setzte sich in den Stuhl. Es war heiß so nahe am Feuer.
Boreas entblößte seine kräftigen Zähne zu einem Grinsen. »Erzählt mir alles, was Ihr auf Euren Reisen erlebt habt, Mylady. Lasst nichts aus. Vergesst nicht, ich bin Euer König.«
»Glaubt mir, Euer Majestät, das ist etwas, das ich nie vergessen werde.«
Sie verbrachte die nächste Stunde damit, genau zu beschreiben, was sie seit dem Tag im vergangenen Sommer, an dem sie sich aus Calavere fortstahl, alles erlebt
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