Die letzte Rune 09 - Das Tor des Winters
verstreut und verängstigt, wie sie waren, hatten die Kreaturen keine Chance. Schlachtrösser donnerten über sie hinweg und trampelten sie in den Boden. Andere stürzten mit Pfeilen in den krummen Rücken, und noch mehr kreischten aufgespießt an den Enden der Piken.
Es war in wenigen Augenblicken vorbei – fünfzig Feydrim lagen tot und zerschmettert am Boden, ihre Kadaver waren so grau wie Geister im Zwielicht. Grace schloss die Augen, tastete die Weltenkraft ab und öffnete die Augen wieder. In ihr stieg ein Gefühl von Stolz auf, und sie nickte zufrieden. Nicht nur hatte ihr Heer nicht einen Mann verloren, keiner hatte eine Verletzung, die schlimmer als ein Kratzer war.
In der Tiefe stießen die Männer Jubelrufe aus. Tarus hob das Schwert, und Paladus blies in seine Signaltrompete. Ein schwarzes Schlachtross donnerte die Anhöhe hinauf. Es war Durge, der Tira vor sich auf dem Sattel sitzen hatte. Shandis trabte hinter ihm her.
»Das habt Ihr gut gemacht, Euer Majestät«, sagte der Embarraner, als er Schwarzlocke vor Grace zügelte. Zu ihrer Überraschung grinste der sonst immer so ernste Ritter. »Sogar sehr gut gemacht. Diese Männer werden Euch jetzt überallhin folgen, und wenn es in das dunkle Tor von Imbrifale selbst ist.«
Diese Worte ließen Grace frösteln, aber sie konnten das glückliche Gefühl des Sieges nicht völlig unterdrücken. Sicher, das war nur eine kleine gegnerische Streitmacht gewesen, aber sie hatten sich ihr gestellt, und sie hatten überlebt.
Grace schob Fellring in die Schwertscheide und schwang sich in Shandis' Sattel. Die Sterne am Himmel waren hell, und sie war noch nicht bereit, für die Nacht anzuhalten.
»Kommt, Durge«, sagte sie und erwiderte sein Lächeln. »Lasst uns zur Schattenkluft reiten.«
DRITTER TEIL
Schatten ziehen herauf
25
Am nächsten Morgen, an ihrem ersten offiziellen Tag als wieder eingestellte Sucherin, kam Deirdre zu spät zur Arbeit.
Der grelle Schein der Deckenleuchten ließ sie die Augen beschatten; die Uhr an der Wand zeigte 9:32, als sie aus dem Aufzug trat. Das war gar nicht so übel, vor allem, wenn man die vom Scotch verursachten Kopfschmerzen in Betracht zog, mit denen sie erwacht war.
»Direktor Nakamura erwartet Sie«, sagte Madeleine und schaute über den Rand des Computers. »Wollten Sie nicht schon um neun hier sein?«
Deirdre verzog das Gesicht zu einem, wie sie hoffte, fröhlichen Lächeln. »Meine U-Bahn wurde von U-Bahn-Gnomen entführt.«
»Das dachte ich mir schon.« Madeleine nahm einen Bleistift, der scharf genug aussah, um damit Kevlar durchbohren zu können, und machte einen präzisen Haken auf ein Stück Papier.
»Was tun Sie da?«, wollte Deirdre wissen.
»Sie auf meine Liste setzen.«
Die Empfangsdame wandte ihre Aufmerksamkeit wieder dem Computer zu und fing an zu tippen, als wollte sie mit der Tastatur durch Reibung ein Feuer entzünden. Deirdre schwang sich ihre Umhängetasche über die Schulter und eilte den Korridor hinunter in Richtung von Nakamuras Büro. Warum wollte er sie schon wieder sprechen? Er hatte ihr erst gestern einen Auftrag gegeben. Sie fand ihn hinter seinem Schreibtisch sitzen; das Gesicht vor Konzentration verzogen, versuchte er gerade, eine Marionette über die Schreibtischunterlage gehen zu lassen. Aber die Fäden verhedderten sich, und die Marionette brach zusammen, als hätte sie einen epileptischen Anfall.
»Deirdre, da sind Sie ja«, sagte Nakamura und schaute auf.
Sie konnte den Blick nicht von der zusammengebrochenen Marionette nehmen.
Der Assistant Director seufzte. »Der Verkäufer hat es so einfach aussehen lassen. Aber ich vermute, es ist keine einfache Sache, eine andere Person zu kontrollieren – selbst eine aus Holz.«
Deirdre ließ sich in einen der Stühle vor dem Tisch sinken. »Soll das eine Lektion sein?«
»Alles ist eine Lektion, Miss Falling Hawk, wenn wir es nur lange genug betrachten. Aber das hier ist bloß ein Spielzeug. Ich kann es wegräumen, wenn ich keine Lust mehr darauf habe.« Er öffnete eine Schublade, nahm die Marionette und ließ sie hineinfallen.
Deirdre lehnte sich in dem Stuhl zurück und sann über die Worte nach. Sollten sie sie aufmuntern oder warnen? Vielleicht bedeutete ihr Nakamura, dass sie sich keine Sorgen machen sollte, dass die Sucher nicht versuchen würden, sie zu kontrollieren, so wie Farr es befürchtet hatte. Aber vielleicht war Nakamura auch nur ein neugieriger und exzentrischer älterer Gentleman, der ein
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