Die letzte Rune 09 - Das Tor des Winters
bedeckt, so dass die Inschrift beinahe nicht zu entziffern war.
Beinahe. Die Schrift auf dem Stein war nicht vollständig genug, um in die Sprachdateien der Sucher transkribiert worden zu sein. Darum hatte es auch vor Monaten keine Übereinstimmung gegeben, als Deirdre das erste Mal nach der Schrift auf Glindas Ring gesucht hatte. Aber sobald sie das Bild vergrößert und bearbeitet hatte, stachen ihr trotz der fragmentarischen Natur der Inschrift die Ähnlichkeiten sofort ins Auge. Die Schrift auf Glindas Ring und dem Schlussstein war eindeutig dieselbe – dieselben Symbole in derselben Reihenfolge.
Das war nicht die einzige Übereinstimmung. Genau wie die Inschrift auf dem Schlussstein war auch die DNA-Sequenz fragmentarisch. Sie entstammte einer Probe, die man vor fast zweihundert Jahren entnommen hatte, an demselben Ort in London, wo man auch den Schlussstein gefunden hatte. Die Probe war erst kürzlich analysiert worden als Bestandteil eines fortlaufenden Programms, sämtliche in den Archiven der Sucher gesammelten biologischen Proben – Haare, Blut und Knochen – zu sequenzieren, bevor die Zeit jegliche Anstrengungen in dieser Hinsicht zunichte machte.
Trotz des schlechten Zustands der Probe hatte die Computeranalyse ergeben, dass eine beträchtliche Ähnlichkeit zwischen der partiellen DNA-Sequenz und der Sequenz bestand, die Deirdre von Glindas Blutprobe hatte durchführen lassen. Der Fall, bei dem es eine Verbindung zwischen dem Schlussstein und der partiellen DNA-Sequenz gegeben hatte, war 1816 abgeschlossen worden. Und jetzt hatte Deirdre erneut eine Verbindung zwischen einem seit langem vergessenen Fall und einer neuen Untersuchung gefunden. Ohne jeden Zweifel stand der Fall von 1816 mit Glinda in Verbindung. Aber wieso?
»Vielleicht ist es ja einfacher, als du denkst.« Sie tippte schnell eine Frage ein.
IDENTIFIZIERE DEN ORT, AN DEM DIE BIOLOGISCHE PROBE UND DER SCHLUSSSTEIN VON FALL 1816-11A ENTNOMMEN WURDEN. STELLE DAS RESULTAT AUF EINER KARTE DES HEUTIGEN LONDON DAR. [ENTER]
Der Computer piepte, und ein neues Fenster öffnete sich und verdeckte die anderen. Es zeigte eine Karte Londons. In der Mitte der Karte blinkte ein roter Stern. Deirdre beugte sich näher heran und las das Wort auf der Karte direkt unter dem Stern: Brixton.
Surrender Dorothy. Das musste es sein; es ergab zu viel Sinn. Im Jahre 1816 hatten die Sucher in einem Gebäude in Brixton Proben eingesammelt, die mit außerweltlichen Verbindungen in Zusammenhang standen – dasselbe Gebäude, das fast zwei Jahrhunderte später den Nachtclub beherbergt hatte.
Also wussten die Sucher vom Surrender Dorothy. Das heißt, sie hatten zumindest einmal davon gewusst.
Oder verhielt es sich genau andersherum? Vielleicht war es kein Zufall gewesen, dass Deirdre Glinda an jenem Tag im Sign of the Green Fairy getroffen hatte.
Sie wussten von den Suchern – Glinda, Arion, der Türsteher, sie alle –, und sie suchten verzweifelt nach Hilfe. Duratek hat sie in der Hoffnung benutzt, dass ihr Blut ein Tor nach Eldh aufstoßen würde. An wen sonst hätten sie sich wenden können?
Aber es war zu spät gewesen. Deirdre hatte ihnen nicht helfen können. In dieser Nacht war das Surrender Dorothy abgebrannt und hatte seine seltsamen Bewohner mit sich genommen.
Deirdre drehte den Silberring an ihrem Finger. »Wer seid ihr gewesen, Glinda? Du und die anderen? Ihr seid keine richtigen Elfen gewesen. Aber ihr seid auch keine richtigen Menschen gewesen. Also wo seid ihr hergekommen? Und warum wart ihr in London?«
Sie öffnete ein neues Fenster. In den Akten der Sucher musste es mehr Antworten geben. Und mit Echelon 7 würde sie sie finden. Sie begann eine neue Suchanfrage, eine, die sämtliche Außerwelt-Fälle in London in den vergangenen vierhundert Jahren aufrufen sollte, aber bevor sie zu Ende tippen konnte, wurde der Bildschirm schwarz.
Deirdre runzelte die Stirn. War der Akku leer? Sie wollte es überprüfen, dann erstarrte sie. Wörter rollten über den Bildschirm.
> AUF DIESE WEISE FINDEN SIE ES NIE HERAUS.
Sie starrte den Computer an. Das war nicht sie gewesen; ihre Hände waren nicht einmal in der Nähe der Tastatur. Die Wörter pulsierten langsam, wie ein behäbiges Lachen. Deirdre befeuchtete die Lippen, dann griff sie nach den Tasten.
WAS HERAUSFINDEN? [ENTER]
> WAS SIE SUCHEN.
Die Antwort war schnell gekommen, als hätte die Person am anderen Ende nur auf die Frage gewartet. Falls es sich überhaupt um eine Person handelte.
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