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Die letzte Rune 09 - Das Tor des Winters

Titel: Die letzte Rune 09 - Das Tor des Winters Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anthony Mark
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Deirdre dachte einen Augenblick lang nach, dann tippte sie.
    WER SIND SIE? [ENTER]
    > EIN FREUND.
    > SAGEN WIR, EIN HEIMLICHER FREUND.
    Wieder kam die Antwort schnell, aber irgendwie waren diese Worte nicht beruhigend.
    WENN SIE EIN FREUND SIND, WO KANN ICH SIE DANN FINDEN? [ENTER]
    > SCHAUEN SIE AUS DEM FENSTER, MISS FALLING HAWK.
    Etwas in Deirdre schien sich zusammenzuziehen. Ihr Körper schien sich aus eigenem Antrieb zu bewegen, als sie vom Stuhl aufstand und zum Fenster ging. Draußen war die Nacht hereingebrochen. Ein paar Autos fuhren durch die ruhige Seitenstraße; eine Katze lief den Bürgersteig entlang. Dann sah sie es auf der anderen Straßenseite: Direkt am Rand des Lichtkegels einer Straßenlampe stand eine dunkle Gestalt. Die Gestalt bewegte sich. Hatte sie genickt? Sie hielt etwas in den Händen.
    »Warum beobachtest du mich?«, flüsterte sie. »Was willst du von mir?«
    Hinter ihr ertönte ein Glockenton. Sie drehte sich um und schaute auf den Bildschirm.
    > ICH WILL DAS GLEICHE WIE SIE.
    > VERSTEHEN.
    Also beobachtete der andere nicht nur, er hörte auch zu. Später wollte sie das Apartment auseinander reißen und die Wanze finden. Jetzt hielt sie dem Fenster den Rücken zugewandt. »Ich glaube Ihnen nicht«, sagte sie, und diesmal klangen die Worte scharf und zornig.
    Weitere Wörter rollten über den Bildschirm.
    > ER KOMMT.
    > SIE SOLLTEN VORSICHTIG MIT DEM SEIN, WAS ANDERE AUGEN SEHEN KÖNNEN.
    Es klopfte an der Tür. Deirdre musste sich auf die Zunge beißen, um keinen Schrei auszustoßen. Im gleichen Augenblick flackerte der Bildschirm auf; die Wörter verschwanden, und die Resultate von Deirdres Suchanfragen erschienen wieder – der Schlussstein und die DNA-Analyse. Sie schaute wieder aus dem Fenster. Der Lichtkranz unter der Straßenlaterne war leer.
    Erneut klopfte es an der Tür, diesmal ungeduldiger als beim letzten Mal.
    »Ich komme!«, rief Deirdre. Sie schlug den Computer zu und eilte zur Tür. Ihre Hände zitterten, und sie fummelte an dem Riegel herum, bevor sie die Tür aufriss.
    Ein ihr völlig unbekannter Mann stand im Korridor. Im ersten Moment fragte sie sich, ob es der war, den sie eben noch unter der Straßenlampe gesehen hatte. Aber ihn hatte sie nur Sekunden vor dem ersten Klopfen gesehen; er konnte unmöglich den Weg in den zweiten Stock so schnell zurückgelegt haben. Außerdem war die dunkle Silhouette, die sie gesehen hatte, groß und schlank gewesen, beinahe schon gertenschlank.
    Dagegen war der Mann vor ihr nicht besonders groß und alles andere als gertenschlank. Die eleganten Linien seines italienischen Anzugs wurden größtenteils von den Muskeln zerknautscht, die sich darunter wölbten und den Stoff anspannten. Sein weißblondes Haar war kurz geschnitten; nach dem kurzen, dunklen Bart zu urteilen, war das auch nicht seine ursprüngliche Farbe. Die Augen über den schroffen, zerklüfteten Wangen waren überraschenderweise blau.
    Deirdre war zu überrascht, um etwas anderes sagen zu können als: »Kann ich Ihnen helfen?«
    Der Mann lächelte, seine blauen Augen zwinkerten. Der Effekt war ziemlich beeindruckend.
    »Ich bin Anders«, sagte er mit einer Stimme, die zugleich knirschend und anstößig fröhlich war. Deirdre konnte den Akzent nicht genau unterbringen. Neuseeland? Australien? »Mister Nakamura hat Ihnen bestimmt von mir erzählt. Ich bin früher in die Stadt geschneit als erwartet. Sie waren nicht im Büro, also dachte ich mir, ich schaue mal vorbei.«
    Deirdre versuchte die Worte zu verstehen, scheiterte aber spektakulär. »Entschuldigen Sie, wer, zum Teufel, sind Sie?«
    Noch immer lächelnd, streckte er eine große Hand aus.
    »Kommen Sie schon, Deirdre. So begrüßt man doch nicht seinen neuen Partner.«

16
    Falls Travis geglaubt hatte, die Rückkehr nach Denver wäre wie eine Heimkehr, dann hatte er sich geirrt. Sämtliche Gedanken und Gefühle, die sich normalerweise einstellten, wenn man an das Wort Zuhause dachte – Dinge wie Wärme und Behaglichkeit und Sicherheit –, waren hier nur Schatten. Sie waren dünne und nebelhafte Dinge, die jede Straßenecke heimsuchten und jedes helle Schaufenster beschlugen: Erinnerungen an das, was verloren gegangen und nie wieder erreicht werden konnte. Nein, das war nicht sein Zuhause, und er war alles andere als sicher.
    Travis schob die rauen Hände in die Taschen seines mitgenommenen Parkas und schlurfte die Sixteenth Street entlang. Er hielt aus den Augenwinkeln Ausschau, schaute nach rechts und links,

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