Die letzte Rune 11 - Das Blut der Wüste
selbstverständlich zu nehmen. Es gab eine erstaunliche Auswahl an Kanälen (viele zeigten Dinge, die so vulgär wie faszinierend waren), aber Beltans Lieblingssender war der Wonder Channel. Es machte ihm Spaß, etwas über die Welt zu lernen, die nun sein Zuhause geworden war. In den letzten drei Jahren hatte er viel und eifrig gelesen – jetzt, da er lesen konnte dank Graces Unterricht in der Bibliothek von Tarras –, auch wenn Travis ihn eines Tages, nachdem er bemerkt hatte, wie er mit zusammengekniffenen Augen auf das Blatt starrte, zu einem Arzt geschleppt hatte, der ihm eine Lesebrille verschrieben hatte. Die Brille half, aber manchmal wie an diesem Abend waren Beltans Augen zu müde, um ein Buch zu lesen.
Fernsehen war nicht so gut wie lesen, aber Beltan mochte es trotzdem, und er drückte eine Taste auf der Fernbedienung und schaltete auf den Wonder Channel. Seine Sendung namens Archäologie heute! hatte gerade angefangen. Er hatte sie schon öfters gesehen. Sie zeigte Live-Berichte über Archäologen, die an den verschiedensten Orten der Welt arbeiteten, in der Hoffnung, im Augenblick einer großen Entdeckung dabei zu sein.
Archäologen waren, das wusste Beltan, gelehrte Männer und Frauen, die die Überreste alter Kulturen und Zivilisationen ausgruben und studierten. Das Wissen, dass die Erde in ihrer Vergangenheit Eldh sehr geähnelt hatte, freute Beltan, aber das Problem mit dieser Sendung bestand darin, dass Archäologie eine ermüdende Arbeit darstellte und für gewöhnlich darin bestand, mit kleinen Pinseln und Hämmern Dreck wegzukratzen. Die muntere junge Frau, die die Sendung moderierte, tat ihr Bestes, jedes Stück zerbrochene Töpferware, das aus dem Boden kam, wie einen entscheidenden Durchbruch aussehen zu lassen, aber ihr Lächeln erschien oftmals mehr als nur etwas bemüht.
»Heute führen wir Sie in den Dschungel von Belize«, sagte ihre aufgeregte Stimme aus dem Fernsehlautsprecher. »Hier wollen Archäologen die Gruft einer Maya-Prinzessin öffnen, die seit über tausend Jahren verborgen lag. Danach geht es nach Australien, um die ersten Spuren menschlicher Besiedlung auf diesem Kontinent zu enthüllen. Und schließlich zeigen wir Ihnen eine Höhle, wo kürzlich ein Erdbeben unglaubliche Artefakte ans Tageslicht gebracht hat, und zwar auf der Insel …«
Es klopfte an der Wohnungstür. Beltan stellte den Ton ab und stand auf. Das Klopfen ertönte erneut, hart und ungeduldig.
»Komme schon«, murrte Beltan, fest entschlossen, dem Besucher diesmal nichts abzukaufen. Er schloss auf und öffnete die Tür.
Also hatten seine Instinkte nicht gelogen. Ihre friedliche Zeit in London – das Warten – war vorbei.
Sie sah älter aus, als er sie in Erinnerung hatte, aber sie war noch immer schlank und wunderschön, und die Aura der Gefahr hüllte sie genauso sehr ein wie das glatte schwarze Leder. Auf dem Arm hielt sie ein kleines Mädchen mit graugoldenen Augen. Das Mädchen lachte und griff mit der pummeligen Hand nach Beltan.
»Bitte«, sagte Vani mit leisem und drängendem Tonfall. »Lass uns rein.«
5
Travis hatte die einfachsten Dinge schon immer am meisten geliebt.
Nach dem Zweiten Krieg der Steine hatte Grace ihn zu seinem großen Entsetzen zu einem Baron von Malachor machen wollen. Westlich vom Winterwald gab es da ein verfallenes Schloss, nur drei Tagesritte von Burg Todesfaust entfernt. Er sollte fünfhundert Männer und zwanzig embarranische Baumeister mitnehmen. In einem Jahr wäre das Schloss so gut wie neu gewesen. Seine Männer sollten ihre Familien aus dem Süden holen; sie konnten in den Wäldern jagen und Land für Ackerbau roden, und Travis konnte ihr Herr sein.
»Ich brauche kluge und vertrauenswürdige Barone, wenn ich eine Chance haben will, dieses Königreich wieder aufbauen zu können«, hatte Grace mit einer solch charakteristischen Nüchternheit gesagt, dass er hatte lachen müssen.
Aber Baron zu sein – mit einem großen Saal und Vasallen und Dienern – war das Letzte gewesen, das Travis gewollt hatte. Eine Wohnung in London mit zwei Schlafzimmern reichte ihm als Schloss, und er war zufrieden, sich die Pflichten des Herrschens mit Beltan zu teilen. Die Dinge, die er heute getan hatte – den Schiffen zusehen, wie sie unter der Tower Bridge hindurchfuhren, durch die belebten Straßen des West Ends nach Hause zu gehen, ein Essen zu kochen, das Beltan herunterschlang, ganz egal, wie schrecklich es war – das war alles, was er verlangte. Vielleicht
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