Die letzte Rune 11 - Das Blut der Wüste
draußen zu halten und die Feuchtigkeit in ihrem Atem zu bewahren. Jedes Mal, wenn sie eine Düne erklommen, suchte Vani den Horizont ab, und Travis wusste, wonach sie Ausschau hielt: nach dem grünen Fleck einer Oase und den weißen Umrissen menschlicher Besiedlung. Sie sahen nur weitere Dünen.
Du bist wirklich ein Idiot, sagte sich Travis, während er hinter Vani herstapfte. Wir haben weder Essen noch Wasser. Wir sind völlig unvorbereitet. Du solltest mal über das nachdenken, was du tust.
Aber da war keine Zeit zum Nachdenken gewesen. Er war auf das Tor zugesprungen, ohne eine Ahnung zu haben, was er auf der anderen Seite tun würde; er hatte nur gewusst, dass der Sprung durch das Portal seine einzige Chance sein würde, Nim zu retten. Er hatte nicht damit gerechnet, dass Vani ihm folgte, aber er war dankbar, dass sie es getan hatte. Er bezweifelte, ohne sie fünf Minuten in der Wüste überleben zu können.
Würdest du nicht, Travis?, sagte eine trockene Stimme in seinem Verstand. Es war nicht Jacks Stimme; es war seine eigene. Aber sie war zischender, ein lockendes Zischen, wie das einer Schlange. Vani hat Recht. Du bist ein Zauberer. Und dieses Land ist ihr Zuhause. Du brauchst nur dein Blut zu vergießen – nur ein paar Tropfen –, und sie werden kommen und deine Befehle befolgen. Die Geister. Die, die hungern …
Erst als er die Schmerzen fühlte, wurde er sich bewusst, dass sich seine Nägel in die Haut seines Unterarms gruben. Er zwang sich, die Hand wegzunehmen, und dachte stattdessen an Beltan. Es war möglich, dass er den blonden Mann niemals wiedersehen würde. Aber Beltan hätte an seiner Stelle das Gleiche getan. Er wäre Nim durch das Tor hinterhergesprungen. Wie hätte er denn nicht? Sie war seine Tochter. Ihre Tochter.
Trotzdem nagte Trauer an Travis' Herz. Was tat Beltan wohl jetzt im Augenblick?
Er versucht eine Möglichkeit zu finden, dir zu folgen. Das weißt du genau. Er wird dich nicht gehen lassen.
Vor drei Jahren war alles so verwirrend erschienen. Seine Gefühle waren ein Labyrinth gewesen, und er war durch den Irrgarten gestolpert, ohne zu wissen, wer an seinem Ende auf ihn wartete – oder ob überhaupt jemand wartete. Selbst während dieser letzten Jahre in London, so glücklich sie auch gewesen waren, manchmal hatte er sich gefragt, ob die Dinge möglicherweise nicht anders verlaufen wären, wenn Vani sie nicht verlassen hätte. Und dann trat sie durch die Tür von seiner und Beltans Wohnung, und in diesem Augenblick hörten die Fragen auf.
Vani liebte ihn nicht.
Sie hatte ihn einst geliebt, daran hatte Travis keinen Zweifel. Er hatte sie in seinen Armen gehalten, er hatte gefühlt, wie sie zitterte, er hatte sie geküsst. Und in diesen Augenblicken hatte er ihre Liebe erwidert. Aber er wusste jetzt, dass ihre Liebe ein Trick gewesen war – der in jeder Hinsicht genauso grausam wie die Täuschung gewesen war, mit der das Kleine Volk Vani und Beltan hintergangen hatte. Nur dass das kein Trick von Elfen war.
Es war ein Trick des Schicksals.
Vani hatte Travis geliebt, weil sie glaubte, dass es ihr Schicksal war, ihn zu lieben; sie hatte ihre Liebe in einem Akt schieren Glaubens zu etwas Realem gemacht. Und er hatte diese Liebe erwidert, weil er, konfrontiert mit so elementaren Gefühlen, nur die Wahl gehabt hatte, sie entweder wegzustoßen oder sie an sich zu reißen. Er konnte sie nicht wegstoßen, nicht wenn sie Liebe – echte Liebe – so dringend brauchte und es nicht einmal wusste.
Aber auch wenn die T'hot- Kartendie Wahrheit verkündeten, hatte die Wahrheit sie in die falsche Richtung geführt, wie es so oft geschah, wenn jemand das Schicksal interpretieren wollte. Die Karten hatten vorausgesagt, dass sie dazu ausersehen war, ein von Travis gezeugtes Kind auszutragen, und nicht, es mit ihm zusammen großzuziehen, und dieses Schicksal hatte sich erfüllt, als sie Nim zur Welt gebracht hatte. Aber vielleicht war das Schicksal doch nicht so grausam, denn am Ende hatte Vani tatsächlich die Liebe gefunden – eine wahrhaftige Liebe, die nicht auf einem Trick oder einer Täuschung beruhte.
Ihre Liebe für Nim.
Travis hatte sie in Vanis Augen leuchten gesehen, wenn sie ihre Tochter hielt. Und er sah sie jetzt in ihrem vorgeschobenen Kinn, als sie die endlosen Dünen hinauf- und wieder hinuntermarschierte. Er beschleunigte die Schritte …
… und rannte beinahe in Vani hinein, die oben auf der Düne stehen geblieben war.
»Ich sehe etwas.« Sie schaute
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