Die letzte Rune 12 - Die letzte Schlacht
Mitte des Raumes wurde von einem Schreibtisch mit Klauenfüßen dominiert.
Deirdre trat an den Schreibtisch, dann holte sie zischend Luft. Die Schreibtischunterlage aus Filz war mit Tintenflecken übersät – die Geister von vor langer Zeit geschriebener Briefe. Etwas in der Nähe der einen Ecke der Unterlage zog ihren Blick auf sich: ein in dunklen Linien gezeichnetes Symbol.
Eine Hand, die drei Flammen hielt.
Deirdre fasste die Laterne fester, damit sie nicht ihren Fingern entglitt, dann umkreiste sie den Schreibtisch. Im Gegensatz zu den verblichenen Tintenflecken war das Symbol klar und schwarz; es war erst kürzlich gezeichnet worden. Aber von wem? Eleanor? Sie schien nicht der Typ zu sein, der durch das Haus streifte und aus Langeweile auf den Möbeln herumkritzelte. Und wieso sollte sie über die Sucher Bescheid wissen?
Deirdre beugte sich nach vorn. An der rechten Seite des Schreibtisches, direkt unter dem Zeichen, befand sich eine Schublade. Sie streckte die Hand danach aus, dann zögerte sie. Sie durfte nichts durcheinander bringen. Oder doch? Vielleicht hatte man sie ja aus genau dem Grund hergeführt, damit sie etwas durcheinander brachte. Sie öffnete die Schublade.
Sie war leer. Zumindest hatte sie den Eindruck. Sie konnte den hinteren Teil nicht einsehen; dazu gab es nicht genug Licht. Sie steckte die Hand in die Schublade, tastete im hinteren Teil umher.
Ihre Finger schlossen sich um etwas Hartes und Kühles. Sie zog die Hand zurück. Sie hielt einen silbernen Schlüssel, der dunkel angelaufen war.
Ihre Nackenhärchen stellten sich auf. Sie wanderte in der Bibliothek umher, suchte. In einer Ecke neben dem Globus stand eine kleine Vitrine aus dunklem Holz. Die Vitrine hatte zwei Türen. Eine wies ein Schlüsselloch auf. Deirdre stellte die Laterne ab. Ihre Hand zitterte so sehr, dass sie mehrere Anläufe nehmen musste, um den Schlüssel in die Öffnung zu bekommen. Sie drehte ihn um, rechnete nicht damit, dass er funktionierte. Aber ein Klicken ertönte, und die Vitrinentür schwang auf.
Deirdre ging in die Hocke. In der Vitrine gab es zwei Böden. Der eine stand voller Bücher. Sie fuhr mit dem Finger über die abgenutzten Buchrücken, davon überzeugt, dass es faszinierend sein würde, in ihnen zu lesen, sich aber auch sicher, dass sie nicht deswegen hier war. Auf dem anderen Boden stand ein Holzkasten. Sie nahm ihn, trug ihn zum Schreibtisch und stellte ihn dort ab. Staub wirbelte auf. Sie hielt einen Moment lang den Atem an, wartete, bis der Staub sich gesetzt hatte, dann öffnete sie den Deckel.
Der Kasten enthielt drei Dinge. Eine Glasphiole, leer. Der Verschluss bestand aus Gold und hatte die Form einer Spinne. Bei den beiden anderen Gegenständen handelte es sich um Bücher. Eines war klein, der Ledereinband abgenutzt, die Seiten so vertrocknet, dass sie anfingen zu zerbröckeln, als Deirdre das Buch aufschlagen wollte. Schnell legte sie es wieder hin.
Das andere Buch war größer. Der Einband war glatt und neu, die Seiten weiß, mit scharfem, massenproduziertem Rand. Das war kein antikes Buch. Es war ein Tagebuch, wie man es heute in jedem Schreibwarenladen kaufen konnte. Deirdre schlug die erste Seite auf.
Schwindel erfasste sie und zwang sie, sich auf den Schreibtischstuhl zu setzen. Im schwachen Licht der Laterne überflog sie die ersten Zeilen.
Sie sollten das nicht lesen. Denn wenn Sie dies tun – wenn Sie die in diesem Journal enthaltenen Geheimnisse erfahren, wenn Sie die Philosophen als das sehen, was sie in Wirklichkeit sind – dann werde ich Sie so sicher verdammt haben, wie ich sie vor über dreihundert Jahren verdammt habe. Die Philosophen werden Sie verurteilen, sie werden Sie mit all der ihnen zur Verfügung stehenden Macht jagen, und sie werden Sie vernichten. Und doch bitte ich Sie in Hermes' Namen weiterzulesen.
»Großer Geist«, murmelte Deirdre, und ihre Hände zitterten so sehr, dass sie das Tagebuch hinlegen musste.
Es waren nicht die Worte allein, die sie verblüfften. Es war die glatte, elegante Handschrift, mit der sie geschrieben worden waren. Sie musste nicht in die Tasche greifen und die handgeschriebene Nachricht betrachten, die sie gestern von ihm erhalten hatte, um zu wissen, dass die Schrift identisch war. Er hatte dieses Journal verfasst – und allem Anschein nach erst kürzlich –, dieser namenlose Philosoph, der ihr geholfen hatte.
Nur, dass er nicht länger namenlos war. Denn in dem Augenblick, in dem sie diese ersten Zeilen gelesen
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