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Die letzte Rune 12 - Die letzte Schlacht

Titel: Die letzte Rune 12 - Die letzte Schlacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anthony Mark
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kleines Messer mit einem abgegriffenen Knochengriff und – sorgfältig unter ihrem schmutzstarrenden Kleid verstaut – ein ordentlich zusammengefaltetes Stück Stoff. Es hatte die Größe eines Schnupftuchs, war außerordentlich dünn und schimmerte im Halbdunkel wie Silber. Das Tuch war unbeschmutzt, und nicht einmal meine dreckigen Finger hinterließen einen Flecken.
    Das Gelächter kam näher. Ein grober Laut – das Lachen eines Mannes. Andere fielen ein.
    Ich knüllte den Stoff zusammen und schob ihn unters Hemd, dann steckte ich das Messer und den Halfpence in die Tasche meiner Hosen. Oft steckten Männer ihre Köpfe in unsere Nische, wenn wir da waren, da sie uns bestehlen wollten oder Schlimmeres. Meine Mutter schwang dann das Messer und vertrieb sie. Aber es war eher das Funkeln in ihren Augen als das Messer, das sie in Schach hielt. Sie funkelten grün in der Dunkelheit, und selbst ich hatte dann Angst vor ihr. Die Männer fluchten in jenen Augenblicken. Sie nannten sie Hexe und Jezebel. Aber sie ließen uns in Ruhe.
    Ein Frauenschrei hallte durch den Tunnel, übertönt von rauem Gejohle. Das würde sie beschäftigen, wenigstens eine kleine Weile. Ich kroch durch die Öffnung der Nische und legte mich auf den Tunnelboden, machte keinen Laut. Weiter unten flackerte rotes Licht, Schatten bewegten sich. Ich drehte mich um und rannte den Tunnel so schnell hinauf, wie mich meine kurzen Beine trugen.
    »He, du da!«, rief eine grölende Stimme hinter mir. »Ich sehe dich, du kleine Ratte. Komm zurück!«
    Hinter mir erklang das Dröhnen schwerer Stiefel, ich hörte Keuchen, aber ich blickte nicht zurück. Ich hielt den Kopf gesenkt, pumpte mit den Armen und umrundete eine Tunnelbiegung. Direkt voraus war ein Spalt in der Wand. Er war kaum breiter als zwei Handspannen, aber ich war ein so dürres, kleines Ding, das ich schnell wie eine Schlange hineinschlüpfte.
    Eine Hand schoss hinter mir her und schloss sich um meinen Knöchel.
    »Jetzt habe ich dich«, verkündete eine Männerstimme, die vom Whisky heiser und verschwommen war. »Jetzt muss ich nicht mehr abwarten, bis ich dran bin. Nichts, was ich mit einer Frau tun kann, dass ich nicht auch mit dir machen kann. Und jetzt komm her, kleine Ratte.«
    Eine andere Hand schloss sich um mein Bein. Ich trat mit dem nackten Fuß zu, traf etwas Weiches und Nachgiebiges, zertrat es mit der Ferse. Dem gurgelnden Schmerzensschrei nach zu urteilen, war es seine Nase. Die Hände ließen los.
    Von dem Griff befreit, kroch ich den Spalt hinauf, der nicht von Menschenhänden in den Fels geschlagen, sondern vor langer Zeit vom Wasser ausgeschwemmt worden war. Es gab viele derartige Wege, die die Grüfte und Gänge miteinander verbanden, die man unter den Fundamenten der Stadt aus dem Felsen gegraben hatte, und wie alle Kinder, die hier unten hausten – jedenfalls die, die überlebten –, hatte ich viele von ihnen erforscht. Ich wusste, dass diese Spalte in einem Abwasserrohr endete, das zur Grassmarket Street führte, im Schatten des Schlosses.
    Aber es war mindestens ein Jahr her, dass ich diese Passage benutzt hatte, und ich war gewachsen. So knochig ich auch war, ich kam an eine Biegung, in der ich mit der Brust stecken blieb. Panik erfasste mich, und ich fürchtete, zurückkriechen zu müssen. Oder noch schlimmer, dass ich feststeckte und dass in einigen Jahren ein kleineres Kind hier meine Gebeine finden und das Messer und die Münze und das Silbertuch nehmen würde, die ich meiner toten Mutter abgenommen hatte.
    Ich strengte mich mit der ganzen Kraft meiner dürren Glieder an und stemmte die Füße gegen beide Seiten der Spalte. Scharfkantige Felsen bohrten sich durch mein Hemd und rissen mir die Haut auf, und die Flüssigkeit machte mich glitschig. Mein Körper schoss aus dem Spalt in einen größeren Durchgang – ein Tonrohr, das vom Wasser und Bewuchs ganz rutschig war. Außer Kontrolle sauste ich das Rohr entlang auf einen Kreis aus grauem Licht zu, der schnell größer wurde. Ich schoss aus dem Loch, landete auf hartem Stein, vollgeschleimt wie ein Neugeborenes. Luft rauschte in meine Lungen, hart und gewaltsam, als hätten sie noch nie zuvor Atem geschöpft.
    Ich schaute nach oben, kniff die Augen zusammen wegen des plötzlichen Tageslichts, das für meine an die Dunkelheit gewöhnte Sicht außerordentlich grell war. Wann hatte mich meine Mutter das letzte Mal an die Oberfläche mitgenommen? Ich konnte mich nicht erinnern. Leute gingen an mir vorbei, aber

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