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Die letzte Rune 12 - Die letzte Schlacht

Titel: Die letzte Rune 12 - Die letzte Schlacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anthony Mark
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und Angst.
    Ich streckte die Hand aus und wollte ihm sagen, dass alles in Ordnung sei, dass ich ihm nichts tun würde, aber er gab einen abgehackten Schrei von sich und wandte sich zur Flucht. Dabei verfing sich sein Umhang in einem Weißdornbusch. Er riss sich von dem Kleidungsstück los und rannte über den Friedhof.
    Vermutlich hielt er mich für einen Geist, so bleich ich war, blutbefleckt und in Lumpen gekleidet, und dass ich aus dem Grab auferstanden war, um ihn zu bestrafen. Dabei traf genau das Gegenteil zu, ich war dankbar für seine Taten, denn jetzt wusste ich, wo ich die Nacht verbringen konnte.
    Ich holte mir den Umhang aus dem Busch, dann quetschte ich mich durch die Öffnung, die der Grabräuber gemacht hatte – zu klein für einen Mann, aber perfekt für einen dürren Jungen. Nur ein Hauch von Licht folgte mir in die Gruft. Die Luft roch muffig und nach Ratten, die vor langer Zeit in der Ecke ein Nest gebaut hatten, aber der Geruch war schwach und alt. Grabnischen säumten die Marmorwände; eine von ihnen war offen und leer und wartete auf eine Leiche.
    Ich überließ mich ihr. Voller Prellungen und Schmerzen und müde jenseits aller Vorstellungskraft – doch zugleich auf seltsame Weise erfreut aus einem Grund, den ich nicht benennen konnte – wickelte ich mich in den Umhang des Grabräubers und legte mich in die kalte Grabnische. Der Stein kam mir wie das weichste Federbett vor, und dort schlief ich wie ein Toter, geboren und gestorben am selben Tag.
    Vielleicht lag es daran, dass ich so lange unter den Toten hauste, dass mir der Wert meines Lebens schließlich so wenig bedeutete.
    Während der nächsten Jahre schlief ich viele Nächte in der Gruft, und nach einiger Zeit betrachtete ich ihre Bewohner als meine Familie. Ich konnte etwas lesen; meine Mutter hatte es mir beigebracht in friedlichen Zeiten in unserer Nische, hatte mit Holzkohle auf die Wände geschrieben. Darum konnte ich einige Inschriften der Marmorgräber entziffern.
    Da war Lord Gilroy, sicherlich eine Vaterfigur, mit strengem Antlitz und auf Gehorsam pochend, aber in stillen Augenblicken freundlich. Die alte Lady Gilroy hatte vor einer Generation gelebt, bis zum reifen Alter von zweiundneunzig Jahren, und so wurde sie meine imaginäre Großmutter, die mich tröstete, wenn alles kalt und aussichtslos erschien. Dann war da die kleine Jennie Gilroy – der Aufschrift auf ihrem Grab zufolge im zarten Alter von neun Jahren verschieden –, eine kleine Schwester, die ich mit aller Macht verteidigen würde und der ich mich anvertrauen konnte, wenn ich allein und voller Angst war. Manchmal, wenn ich mich in die Grabnische schlafen legte, drapierte ich den Umhang des Grabräubers über mich wie ein Leichentuch, dann faltete ich die Hände auf der Brust zusammen und tat so, als wäre ich tot wie sie und hätte meinen Frieden gefunden.
    Aber beides traf nicht zu. Und wie ein ruheloser und unheiliger Geist erhob ich mich jeden Tag aus der Nische und schlüpfte aus der Gruft, um in der Welt der Lebenden auf die Pirsch zu gehen.
    Abgesehen von dem Namen, den mir meine Mutter gegeben hatte – James –, hatte ich keinen weiteren, denn mein Vater, der Richter, der Bastarde in die Welt setzte, hatte es nicht nötig gehabt, mir seinen Nachnamen zu geben. Aber das spielte auch keine Rolle. Auf den Straßen von Edinburgh machte man sich selbst einen Namen, und unter den Leuten, die dort in der Gosse und den Schatten hausten, wurde ich als Jimmie Golden bekannt – wegen meiner schönen Locken, das einzige Erbe meines Vaters.
    Ich hatte sehr früh gelernt, dass mein dichtes Haar, das so gelb wie Weizen war und in Locken auf meine dünnen Schultern fiel, mein größtes Kapital darstellte. Auch wenn meine Kleidung unweigerlich schmutzig war, hielt ich meine goldenen Locken so sauber, wie ich nur konnte, tauchte meinen Kopf selbst an den kältesten Tagen in einen der Stadtbrunnen und kämmte die Strähnen mit den Fingern. Ich wusste, dass sie ihnen gefielen – den sanften Ladys, denen ich gefiel.
    Ich pflegte zur High Street zu gehen, dort positionierte ich mich so in der Sonne, dass das Licht auf mein Haar fiel. Kam eine schöne Kutsche vorbei, vielleicht auf dem Weg vom Schloss hinunter durch das Canongate zum Palast von Holyrood, nahm ich einen zugleich verlorenen und sanften Ausdruck an – einen engelsgleichen Ausdruck, den ich den Cherubim auf den Gemälden in der St.-Giles-Kathedrale abgeschaut hatte, als ich mich einmal dort

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