Die letzte Rune 12 - Die letzte Schlacht
ich nicht. Eine große Hand um meinen dürren Hals, und meine Flucht würde vorbei sein.
Der einzige andere Weg aus dem Hof bestand in dem Haupttor, das zur High Street führte. Zwei Männer standen in dem Tor.
»Wo hast du das her?«, fragte einer der Männer und zeigte auf das silberne Tuch.
Er war korpulent, seine fetten Wangen quollen aus dem Spitzenkragen. Seine Samtjacke war genauso kostbar, mit Messingknöpfen versehen, und zuerst hielt ich ihn für eine Art Lord. Als ich keine Antwort gab, wandte er sich seinem Gefährten zu. »Das dauert nur einen Moment.«
Der andere schwieg weiterhin. Er war hochgewachsen, ein dunkler Umhang bedeckte seine breiten Schultern, sein Gesicht lag im Schatten einer breiten Hutkrempe.
Der Gentleman marschierte los. »Ich wage zu behaupten, dass dieses Schnupftuch zu kostbar für jemanden wie dich ist, Junge«, sagte er keuchend, als wäre er eine hohe Treppe hinaufgestiegen, statt nur den Hof zu überqueren. »Wo hast du es gestohlen?«
»Es gehört mir«, sagte ich. »Meine Mutter hat es mir gegeben.« Es war nicht die genaue Wahrheit, kam ihr aber immerhin ziemlich nahe.
»Lügner«, schrie der Mann, und bevor ich reagieren konnte, riss er mir das Tuch aus der Hand. Ein neues Gefühl durchdrang meine Furcht: Wut.
Er betatschte das Tuch mit seinen dicken Fingern. »Das ist wirklich sehr elegant. Mein Wort darauf, dass du es einer adligen Lady gestohlen hast. Es sind Missetäter wie du, die diese Stadt ruinieren. Ich bin Advokat am Gericht des Königs. Ich werde dich ins Schloss bringen und in den Kerker werfen lassen.«
Ich wollte mich von der Mauer stemmen, aber da trat der andere – der hoch gewachsene Schattenhafte – heran. Er hob eine behandschuhte Hand.
»Lasst ihn gehen, Brody«, sagte er, und ich erstarrte. Seine Stimme war so tief und widerhallend, und aus irgendeinem Grund sandte sie mir einen Schauder den Rücken hinauf. »Lasst uns reingehen.« Er deutete auf die Hintertür der Schenke. »Ich möchte unser Geschäft erledigen.«
Auch wenn er dabei den Advokaten Body ansah, war ich doch sicher, dass er mich beobachtete, selbst wenn ich sein Gesicht nicht sehen konnte.
Brody sah zurück zu seinem Begleiter, und ich wusste, dass das meine Chance war. Ich sprang von der Mauer und riss dem Advokaten das Tuch aus der Hand. Er bewegte sich schneller, als ich es bei einem so dicken Mann gedacht hätte, wirbelte herum und griff nach mir. Ich stieß ein Knurren aus und starrte ihn wütend an. Er stolperte zurück, das Gesicht ganz bleich im Mondschein, und ich wusste, dass meine Augen in diesem Moment so grün gefunkelt hatten wie bei meiner Mutter.
Ich drückte das Tuch an die Brust und rannte zum Tor. Dabei war ich gezwungen, so nahe an dem Begleiter des Advokaten vorbeizulaufen, dass ich seinen schwarzen Umhang berührte – das Gewebe war schwer und weich –, aber er hielt mich nicht auf.
Ich rannte barfuß über das Pflaster der High Street, wich Pferden, Kutschen und Menschen aus, rechnete jeden Augenblick mit einem Aufschrei hinter mir, aber nichts passierte. Ich schoss um die Ecke auf die Candlemaker Row und rannte weiter, immer weiter in Richtung Cowgate und den Ausläufern der Altstadt. Ich hatte die Menschenmassen hinter mir zurückgelassen; niemand konnte mich beobachten, als ich mich eine Steinmauer hinaufzog und auf der anderen Seite wieder heruntersprang.
Der Lärm der Stadt ließ nach. Stille umgab mich. Heller Stein schimmerte im schwachen Licht.
Das war der Friedhof Greyfriars – auch wenn mir zu diesem Zeitpunkt der Name unbekannt war; ich wusste nur, dass es ein Friedhof war, und das passte mir gut. Hier würden mich die Lebenden nicht stören, und die fürchtete ich mehr als die Toten. Ich ging tiefer auf den Friedhof, zitterte, als der Schweiß meiner Flucht verflog. Selbst im Sommer waren die Nächte in Edinburgh kühl.
Ich vermute, ich überraschte den Grabräuber genauso, wie er mich überraschte. Ich bog um einen großen Grabstein mit einem Keltenkreuz, und da war er, über sein Werk gebeugt und vor sich hinmurmelnd, während er sich am Eingang einer Gruft mit einer Spitzhacke zu schaffen machte. Eine Ecke der Steintür fehlte bereits.
Überrascht keuchte ich auf. Der Grabräuber ließ die Spitzhacke fallen und drehte sich um, im Zwielicht sahen seine Augen so groß wie Unterteller aus.
»Heilige Jungfrau Maria, rette mich!«, stammelte er und krallte sich an einer Marmorsäule fest; sein Gesicht war eine Maske aus Schmutz
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