Die letzte Rune 12 - Die letzte Schlacht
klirrte auf der Untertasse, und ihr kam der Gedanke, lieber einen Schluck zu nehmen, um nichts zu verschütten, aber sie schien die Muskeln ihres Armes nicht zum Gehorsam zwingen zu können. Sie konnte ihn bloß anstarren. Und seine goldenen Augen.
Er trank gemächlich einen Schluck Tee, dann blickte er sich in dem dunklen Saal um. »Es ist lange her, seit ich das letzte Mal hier war, in meinem alten Zuhause. Das war vor fast einem Jahrhundert. Ich habe mich oft danach gesehnt, zurückzukommen, aber ich habe es nicht gewagt. Es wäre nicht gut gewesen, die anderen auf die Idee zu bringen, dass mir so viel an der Vergangenheit liegt. Dass ich sie niemals vergessen habe.« Er seufzte. »Es ist heute etwas schäbiger, aber sonst noch genauso, wie ich es in Erinnerung habe. Die Hausmeister und Archivare haben gute Arbeit geleistet.«
»Sie«, schaffte Deirdre schließlich hervorzustoßen. »Sie sind Teil des Konsortiums, von dem Eleanor gesprochen hat.«
Marius lachte leise. »Ich fürchte, ich bin das Konsortium, Miss Falling Hawk. Ich habe aus Madstone Hall ein Privatmuseum gemacht und einen Scheinvorstand gegründet, damit die Philosophen glaubten, das Haus hätte nichts mehr mit mir zu tun.«
»Und hat es funktioniert?«
Er zuckte mit den Schultern. »Manchmal glaube ich, Phoebe überwacht mich noch immer. Sie ist immer die Cleverste von ihnen gewesen, und die Letzte, die mich als Gleichrangigen behandelt hat. Aber in der letzten Zeit denken die Philosophen nur an wenig anderes als an sich selbst und an ihre letzte Verwandlung. Sie beschäftigt sonst nichts mehr. Nicht einmal die dunklen Flecken am Himmel.«
»Die scheinen niemanden zu kümmern«, murmelte Deirdre. »Es scheint niemanden zu interessieren, dass sie immer größer werden. Es ist, als hätte jedermann bereits aufgegeben.«
Marius trank seinen Tee. »Ich bezweifle, dass selbst Phoebe Madstone Hall noch in Erinnerung hat. Aber Vorsicht ist immer der weiseste Ratgeber. Darum habe ich meine Kommunikation mit Ihnen auch geheim gehalten.«
Die Wärme des Feuers hatte Deirdre gut getan, und ihr Zittern – das sowohl vom langen Sitzen in dem kühlen Haus als auch vom Schock gekommen war – ließ nach. Sie schaffte es endlich, einen Schluck von ihrem Tee zu trinken.
»Warum jetzt?«, sagte sie. Ihre Stimme klang nun beherrschter. »Sie haben sich seit mehr als drei Jahren in den Schatten verborgen, mir nie auch nur einen flüchtigen Blick auf das gestattet, was Sie wirklich sind. Jetzt sitzen Sie hier und bieten mir Tee an. Etwas hat sich verändert. Was?«
Dieses Mal war das Gelächter lauter. »Darum habe ich Sie ausgesucht, Deirdre – ich darf Sie doch Deirdre nennen? Miss Falling Hawk erscheint so formell, jetzt, wo wir einander gegenübersitzen, und Sie müssen mich Marius nennen. Darum habe ich Sie von allen Suchern ausgewählt, deren Akten ich studiert habe. Sie sind natürlich intelligent – das bewiesen die Tests. Aber es sind Ihre Instinkte, die mich beeindruckt haben, Ihre Fähigkeit, genau zu wissen, was richtig ist, selbst wenn es keine logische Erklärung dafür gibt, warum Sie es wissen.«
Der Tee schien ihren Magen aufzuwühlen. »Wie lange haben Sie mich beobachtet?«
»Beinahe von Ihrem ersten Tag bei den Suchern an. Auch ich habe gute Instinkte.« Er stellte die Tasse ab und stützte die Ellbogen auf die Stuhllehnen. »Nachdem ich die ersten Anzeichen dafür entdeckte, dass das Perihel zwischen der Erde und Eldh bald eintrifft, habe ich ernsthaft nach jemandem gesucht, dem ich mein Vertrauen schenken konnte. Nach einiger Zeit beschlich mich die Furcht, meine Suche könnte vergeblich sein. Dann sind Sie den Suchern beigetreten, und ich wusste, ich hatte gefunden, was ich suchte. Sie waren clever, neugierig und bereit, die Regeln auf der Suche nach Wissen zu beugen – alles Wesensmerkmale, die ich benötigte. Aber Sie waren auch ehrlich, loyal und verfügten über einen hoch entwickelten Sinn für Rechtschaffenheit. Sie sind nicht einfach nur ein guter Mensch, Deirdre. Sie haben Mitgefühl. Am Ende werden Sie das Allgemeinwohl über alles andere stellen, über alle Begierden und Verpflichtungen.«
Hier war er endlich, ihr geheimnisvoller Helfer, und Deirdre hatte nicht die geringste Vorstellung, was sie sagen sollte. Vielleicht überschätzte er ihre Intelligenz.
»Nein, Deirdre«, sagte er, als würde er ihre Zweifel spüren. »Ihr Verhalten in den vergangenen Jahren hat meinen Glauben an Sie nur bestätigt. Dass ich die
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