Die letzte Schlacht
absichtlich erschaffen hatte oder ob es eine ungewollte Folge der Welle war. Jedenfalls hatten sich Gorian und Kessian vollkommen mit der Erde und dem Leben auf ihr verbunden.
»Gorian«, sagte Mirron, als sie zwischen schwerem, verzweifeltem Keuchen endlich wieder sprechen konnte. »Bitte, lass ihn gehen. Lass meinen Sohn gehen.«
»Das kann ich nicht tun«, erwiderte Gorian mit leiser, melodischer Stimme, die durchaus der sanften Schönheit der Natur entsprach. Es war betörend. »Wir haben uns für einen anderen Weg entschieden. Schließ dich uns an.«
»Du kannst nicht?«, fauchte Jhered. »Dann werden wir ihn uns holen.«
Er war schnell. Die Jahre hatten seiner Gewandtheit keinen Abbruch getan, und die Wut, die in ihm kochte, beflügelte ihn. Mit der Klinge in der Hand richtete er sich auf und hackte auf die dicken Ranken ein, die Gorians Hals umgaben. Kessian schrie auf. Die Klinge prallte von den Wurzeln ab und flog Jhered aus der Hand. Sie hatte kaum einen Kratzer hinterlassen. Gorian lachte.
»Ihr versteht es nicht, Schatzkanzler«, sagte er. »Ihr könnt die Erde nicht töten. Ich bin die Erde, und die Erde ist in mir. Alles, was auf ihr wandelt und wächst, und alles, was unter ihr ruht, ist mein.«
Jhered zog sich einen Schritt zurück und sah sich um. Am Rand der Lichtung sammelten sich Gestalten. Die Toten starrten schweigend herüber. Ohne hinzusehen spürte Arducius, wie ihre Reihen immer dichter wurden. Der Druck ihrer Masse, ihrer grauen, leblosen Energie, nahm zu. Diese Energie, die Gorian als Erster wahrgenommen und die Arducius immer noch nicht richtig verstanden hatte, überwältigte nun die lebendige Natur. Blätter verwelkten, Rinde wurde rissig und verfärbte sich, Gras wurde schwarz und starb. Bald wäre nur noch ein kleiner Kreis um die Aufgestiegenen am Leben, und alles andere ringsum würde dunkel.
»Hör mir zu, Gorian«, sagte Arducius. »Du musst das nicht tun. Du verstehst nicht, was du tust. Das kann doch nicht dein Ernst sein. Du bist einer von uns, ein Aufgestiegener.«
»Und ich bin weiter aufgestiegen, mein lieber zerbrechlicher Bruder. Es tut mir leid, dass du Schmerzen hast, aber das wird vorübergehen. Ich tue nur, was ich tun muss. Es ist die Aufgabe der Götter, ihrem Volk ein Paradies zu schaffen.«
»Du bist kein Gott.«
Arducius blickte nach links. Ossacer wat wieder bei Bewusstsein und lehnte an einem Baum, der sich allein dank seiner Gegenwart noch ans Leben klammern konnte. Der Tod war nur noch eine Handbreit entfernt.
»Bin ich das nicht, Os-siecher?« Sein Kichern erschütterte den Boden. »Du hast gegen mich gekämpft. Du bist stärker, als ich dachte. Aber deine Kräfte sind im Gegensatz zu meinen nicht unbegrenzt. Wir müssen zu den Elementen werden, um sie zu beherrschen. Ein Gott braucht absolute Macht.«
»Du bist krank«, sagte Jhered. »Und du bist es, der sterben wird.«
Gorian blinzelte und sah Jhered an. Ein Flüstern lief durch die Toten, die sie umgaben, und durch das Gras unter ihren Füßen.
»Ihr seid sterblich, und ich kann Euch jederzeit auslöschen, wenn ich es will. Seht Euch doch um. Meine Leute warten auf den Befehl. Nicht einmal der große Schatzkanzler Jhered kann so viele Gegner besiegen.«
»Worauf wartest du dann noch? Was willst du?«
»Komm zu uns, Mutter. Dann lässt er mich gehen. Er hat es versprochen.«
Kessians Ruf hing schwer in der Luft. Der Ruf der Unschuld. Mirron atmete tief ein und sank wieder in sich zusammen.
»Nein, mein Lieber, nein. Er lügt dich an. Glaube ihm nicht. Wehre dich gegen ihn. Bitte.«
Jhered war schon bei ihr und versuchte, sie zu trösten. Nur kurz blickte er zu den Toten, dann wandte er sich wieder an Gorian. Arducius spürte einen Impuls in den Lebenslinien. Er hatte ihn schon einmal gespürt. Begehren.
»Aber es muss geschehen«, sagte Gorian. »Wir müssen die Familie sein, die wir schon immer sein sollten. Die Herrscher dieser Erde. Wir können Gnade zeigen, und diejenigen, die wir lieben, können wir verschonen. Mirron, komm zu mir. Komm zu uns.«
»Beweg dich nicht«, sagte Jhered. Mirron hatte schon reagiert und wollte die Hand ausstrecken. »Er wird uns alle töten.«
»Das werde ich nicht tun, wenn Mirron zu mir kommt«, sagte Gorian. Keine Sanftheit war mehr in ihm, dies war wieder der alte Gorian. »Wir werden euch nichts tun. Wollt ihr denn Mirron verbieten, ihren Sohn zu berühren?«
Mirron sackte in Jhereds Armen in sich zusammen. Sie sagte etwas zu ihm, das Arducius
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