Die letzte Schlacht
Idiot.«
Barias zuckte zusammen. »Ich halte mich nur an die Richtlinien meines Glaubens.«
Roberto wedelte mit einer Hand. »Ihr versteht es einfach nicht. Die Regeln haben sich verändert, dafür hat Gorian gesorgt. Darauf müsst Ihr Euch einstellen. Ihr müsst Euch bewegen und harte Entscheidungen treffen, die der Mehrheit auf Kosten einiger Unglücklicher nützen.«
»Der wahre Glaube wird sie von ihrem Weg abbringen.« Julius lächelte nachsichtig.
»Genau wie es am Fuß der Klippe geschah, nicht wahr? Wenn ich mich recht entsinne, habe ich Euch an diesem Tag das Leben gerettet. Wohin hätte Euer Glaube Euch geführt, wenn ich diese Dummheit nicht begangen hätte?«
»Ich bin nur ein einzelner Mann. Schafft Priester des Ordens in großer Zahl herbei, und wir nehmen den Toten mit unserer Willenskraft den Wunsch, weiter umzugehen. So werden sie fallen und in Gottes Umarmung zurückkehren.«
Roberto blickte nach oben. Wolken sammelten sich, der Wind wehte darunter.
»Nun ja, ein Sonnenstich kann es nicht sein.«
»Was meint Ihr?«
»Der Grund dafür, dass Ihr solchen Unsinn erzählt. Aber was kümmert es mich? Im Grunde habt Ihr mich sogar aufgeheitert, wenn ich’s mir recht überlege. Macht es unbedingt so, wie Ihr es wollt. Wir holen alle Ordenspriester, die dazu bereit sind, und dazu die Kanzlerin, und wir winken Euch an den Gawbergen zu und sagen Euch Lebewohl. Dann könnt Ihr gehen und tun, was Euer Glaube verlangt, und wenn Ihr alle tot seid, wird es kein Gejammer mehr darüber geben, wenn Soldaten wie ich das tun, was nötig ist, um die Konkordanz und ihre Bürger zu retten.«
Roberto lachte und richtete das Hauptsegel neu aus. Er hatte Schuldgefühle, weil er auf diese Weise triumphiert hatte.
»Ich werde gern mit meinen Brüdern vor die Reihen der Toten treten.« Julius’ Antwort klang nicht sehr überzeugend.
»Bringt mich nicht schon wieder zum Lachen, Barias, mir tut davon schon der Bauch weh. Ihr habt nicht den Mut dazu, und außerdem wisst Ihr genau, dass Ihr sterben werdet. Ihr wisst es. Leugnet es, und ich werfe Euch über Bord.«
»Eure Argumente sind kindisch und albern«, warf Barias ihm vor.
»Wirklich? Sind sie nicht einfach nur überzeugend und pragmatisch? Julius, ich komme wirklich gern auf Euch zurück, wenn die Toten in Reichweite sind. Ärgert mich noch etwas, und ich schicke Euch wirklich nach vorn. Aber tut mir vorher noch einen Gefallen. Seht Euch an, was da gegen uns aufmarschiert. Blickt in Euch, bevor Ihr durch falschen Stolz ums Leben kommt. Wir müssen uns nicht unbedingt mögen, und das ist beruhigend. Aber wenn der Krieg vorbei ist, werden die Überlebenden den Orden brauchen wie nie zuvor. Sie werden Menschen wie Euch brauchen. Ihr seid vielleicht ein Idiot, aber wenigstens habt Ihr Euren Glauben.«
9
859. Zyklus Gottes,
46. Tag des Genasauf
D en letzten Abschnitt ihrer Rückreise nach Estorr legte Herine Del Aglios nicht auf dem Seeweg zurück. Eine Brieftaube hatte sie erreicht, und die kurze Botschaft hatte Jhereds Unterschrift getragen. Im Schutze der Dunkelheit war die Advokatin nach der Reise auf dem Fluss Havel westlich von Estorr in einem privaten Hafen an Land gegangen und fast unbemerkt auf den Hügel zurückgekehrt.
Die letzten zwei Tage hatte sie an den Fingernägeln gekaut, während Vasselis und Tuline sie zu beruhigen versucht hatten. In Kriegszeiten musste man vorsichtig sein, und die Advokatin durfte kein Risiko eingehen. Überall in Estorr konnten Meuchelmörder lauern. Und so weiter, und so weiter. Allerdings wusste sie, dass irgendein Unglück Estorr getroffen hatte. Sie kannte Jhered zu gut, eine andere Erklärung konnte es nicht geben.
Nichts hatte sie jedoch auf das vorbereiten können, was auf sie wartete, nachdem sie mit ihren Begleitern am frühen Morgen durchs Siegestor gefahren war. Sogleich bekam sie auch die Erklärung, warum unten in der Stadt so viele Feuer brannten. Irgendwann hatte sie sogar befürchtet, die Invasoren hätten Estorr bereits erreicht, nur um diesen Gedanken gleich wieder als Produkt der Ängste, die ein müder Geist ausbrütet, zu verwerfen. Jetzt wünschte sie, er hätte der Wahrheit entsprochen. Ein erklärter Feind war jedenfalls einer, den man verstehen konnte.
Der Feind aber, der sich in den Mauern des Palasts gezeigt hatte, war kaum oder überhaupt nicht zu besiegen, und gewiss nicht mit Billigung der Bürger. Herine hatte mit Jhered gesprochen, kaum dass sie die Kutsche verlassen hatte. Ihre
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