Die letzte Schlacht
Wut war nach und nach verraucht, als sie zu ihren Privatgemächern im Palast gegangen waren. Eigentlich hatte sie direkt zu den Zellen gehen wollen, doch Jhered hatte sie gedrängt, sich nach der Reise zu erfrischen, die staubigen Kleider gegen eine formelle Toga und den Reif der Advokatin zu tauschen und sich zunächst mit einem Kelch warmen, ungesüßten Weins hinzusetzen.
Er war noch bei ihr und schritt unruhig in ihrem unattraktivsten Empfangszimmer umher, während sie warteten. Herine beobachtete ihn. Er trat auf den Balkon, von dem aus man den Hafen von Estorr und die Unruhen da unten überblicken konnte. Unablässig wanderte er im großen Raum, der mit Halbsäulen geschmückt war und in dessen Nischen Büsten und Porträts großer Generäle und Advokaten ausgestellt waren, hin und her.
Schließlich blieb Jhered vor dem Bildnis seines Großvaters stehen und nickte ernst, als er das mürrische Gesicht betrachtete, als müsste er sich für die schlimme Verfassung der Konkordanz entschuldigen. Er blickte zu den dunkelgrünen Seidentüchern hinauf, die an der Decke hingen und ein Mosaik des Allwissenden verdeckten, das Herine nicht ausstehen konnte. Dann kehrte er ins Zentrum des Raumes zurück und blieb vor dem Tisch stehen, an dem sie saß. Die Liege, die für ihn bereitstand, nahm er nicht in Anspruch.
»Bist du bereit?«, fragte er.
»Ich bin bereit, seit ich aus der Kutsche gestiegen bin. Jetzt warte ich einfach ab, während du Furchen in meinen Marmor scharrst.«
»Sie zeigt nicht einmal Reue«, sagte er.
»Das würde auch nicht zu ihr passen.«
»Aber sie hat noch nie so schwere Verbrechen begangen. Herine, sie wollte dich absetzen und selbst die Macht übernehmen, und beinahe hätte sie Erfolg gehabt. Wäre ich ein wenig später gekommen, oder hätten die Aufgestiegenen ihr nachgegeben …«
»Ich werde mich später mit dem befassen, was die Aufgestiegenen oder einer von ihnen getan haben. Dir ist jetzt schon meine ewige Dankbarkeit sicher.« Herine hob eine Hand. Sie lächelte ihn an, und in ihrem Gesicht entstanden einige Falten und Runzeln. Sie sorgte sich um die Konkordanz, und allein seine Gegenwart schenkte ihr Wärme und Sicherheit. »Ich weiß, warum du mir das sagst, und ich verspreche dir, dass ich mich nicht von ihr zur Weißglut reizen lasse. Aber ich muss unter vier Augen mit ihr reden. Wache meinetwegen vor der Tür, aber ich muss mich dem als die einsame, alternde Advokatin stellen.«
Jhered nickte und setzte sich endlich.
»Ich bin immer noch nicht sicher, ob das richtig ist, Herine. Sie ist eine Mörderin, sie hat Hochverrat begangen und muss verbrannt werden. Stelle sie vor ein öffentliches Gericht. Das ist die einzige Möglichkeit, die Stadt zu beruhigen.«
»Hör doch auf, Paul. Felice und ich waren früher Freundinnen. Sie hat damals Hervorragendes für die Konkordanz geleistet. Ich kenne sie seit Jahrzehnten. Was sie getan hat, ist unverzeihlich, aber ich sollte ihr trotzdem eine letzte Gelegenheit geben, sich mir unter vier Augen zu erklären und es sich wenigstens von der Seele zu reden.«
»Was willst du ihr sagen?«
Herine ließ den Kopf hängen. »Beim Allwissenden, ich habe keine Ahnung. Was sagt man zur Kanzlerin Koroyan?«
»Die einsame Advokatin …« Jhered hätte gern gelächelt, aber es gelang ihm nicht.
»Du hast mich noch gar nicht nach der Senatssitzung im Solastropalast gefragt«, sagte Herine.
Dann sah sie ihn an und begriff, welche Schrecken er hier im Palast erlebt hatte. Es musste viel geschehen, um einen Paul Jhered zu erschüttern.
»Und du hast mich nicht nach Kark und Gestern gefragt. Aber wir gehen besser eins nach dem anderen an, nicht wahr?«
Herine schüttelte den Kopf. »Es eilt. Du musst dich so schnell wie möglich mit Vasselis und meiner Tochter treffen und dich mit Marcus Gesteris und Elise Kastenas beraten, vielleicht auch mit Arducius.«
»Was ist geschehen?«
»Die halbe Konkordanz beschloss, keine Truppen zu schicken, sondern ihre eigenen erbärmlichen Grenzen zu verteidigen.« Herine errötete, als die Erinnerungen erwachten. »Was jetzt in Neratharn, Gosland und Atreska steht, ist so ungefähr alles, was wir bekommen werden.«
Jhered schnitt eine Grimasse. »Nun erzähl mir nicht, Phaskar sei dem Beispiel von Dornos gefolgt.«
»Ebenso Tundarra. Es tut mir leid, Paul.«
Jegliche Farbe wich aus Jhereds Gesicht. Er stand abrupt auf und wandte sich ab, wobei er zwangsläufig wieder seinem Großvater ins Auge blickte. Er
Weitere Kostenlose Bücher