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Die letzte Schlacht

Titel: Die letzte Schlacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Barclay
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wandte sich an ihn und sah nichts als Trauer in seinen Augen.
    »Oh Paul, was habe ich nur getan?«

 
10

    859. Zyklus Gottes,
    46. Tag des Genasauf
     
    P aul Jhered kniete nieder und tastete am Hals nach dem Puls der Kanzlerin. Eigentlich war es nicht nötig, doch er wollte sich vergewissern. Ihr Genick war gebrochen, eine Wange war noch von der Ohrfeige gerötet. Er blickte zur Büste, sah das Blut auf dem Marmor und reimte sich rasch zusammen, was geschehen war.
    Herine hockte zusammengesunken an der Wand und starrte ihn an, flehte ihn mit Blicken an, ihr zu sagen, was er nicht sagen konnte. Er schüttelte nur den Kopf.
    »Es war ein Unfall«, erklärte sie mit bebender, erstickter Stimme. »Sie ist ausgerutscht, als ich ihr eine Ohrfeige gab. Sie stürzte …«
    »Sch-scht. Schon gut, Herine. Beruhige dich. Wir werden uns etwas überlegen.«
    »Was denn?«, fragte Herine verzweifelt. »Ich habe sie getötet. Ich habe noch nie jemanden getötet.«
    »Ich weiß, ich weiß.«
    Jhered setzte sich neben sie, nahm sie in den Arm und zog sie an sich. Sie lehnte den Kopf an seine Brust, atmete schwer und bebend, war aber viel zu schockiert, um zu weinen. Dazu war später noch Zeit. Die Schuldgefühle wegen des ersten Menschen, den man tötet, verlassen einen nie, wie Jhered aus eigener Erfahrung wusste. Die wirkliche Tragödie war aber, dass bei allen anderen die Schuldgefühle lange nicht mehr so stark waren. Er betete, dass Herine diese Lektion, die er und die Kanzlerin gelernt hatten, erspart bliebe.
    »Was tun wir jetzt?«, fragte Herine mit verzagter, ängstlicher Stimme.
    »Ich überlege mir etwas«, erwiderte er. »Mach dir deshalb keine Sorgen.«
    Jhered hätte nicht gedacht, dass die Lage noch schlimmer werden würde, doch dies war eine Katastrophe. Er war noch nicht einmal dazu gekommen, sich nach Vasselis’ Aufenthaltsort zu erkundigen, zumal er sich ohnehin entschieden hatte, an Ort und Stelle zu bleiben. Er war zurückgeeilt und hatte schon vor der Tür die Rufe der streitenden Frauen gehört. Er war gerannt, aber zu spät gekommen, um das Unglück zu verhindern. Schon wieder.
    »Wir müssen den Bürgern etwas sagen, das sie glauben können. Dies hier darf niemand erfahren.«
    Herines Gedanken kamen wieder in Gang, doch sie hatte noch nicht begriffen, was sie getan hatte und welche Folgen es haben mochte. Jhered war klar, dass sie den Anhängern des Allwissenden erzählen konnten, was sie wollten, sie würden es doch nicht glauben. Sie würden vermuten, dass die Aufgestiegenen damit zu tun hatten. Dafür würden schon die übrigen Priester des Ordens sorgen. Jhered hätte Herine dies erklären müssen, damit sie wieder in die Realität zurückfand.
    »Es wird nicht herauskommen«, sagte er stattdessen. »Es wird alles gut werden.«
    »Lügner.«
    Sie hob den Kopf und sah ihn an. Der Schmerz war in ihrem Blick noch zu erkennen, doch die Panik ließ nach.
    »Gut«, sagte er. »So ist es gut. Bleib du hier, während ich einige Dinge erledige. Es war ein Unfall, verstehst du? Mehr werden wir nicht sagen. Lass niemanden herein, bis ich wieder da bin.«
    »Ich will sie nicht ansehen, Paul.«
    »Dann tu es nicht. Komm, steh auf. Leg dich auf die Liege, und ich schenke dir einen Wein ein.«
    »Ich bin eine Mörderin«, sagte sie, als sie die paar Schritte liefen. »Ich sollte verbrannt werden.«
    »Rede nicht so«, wies Jhered sie scharf zurecht. »Das nützt nichts. Wolltest du sie denn töten? Nein. Es war ein Unfall, Herine. Denk an nichts anderes.«
    »Sie ist trotzdem tot.«
    »Ja. Sie hat sich damit sogar der öffentlichen Verhandlung und dem Scheiterhaufen entzogen. Fast, als hätte sie es so gewollt.«
    Jhered versuchte zu lächeln und erkannte, dass Herine sich sogar darauf einließ. Sie nickte.
    »Da ist was dran. Sie hätte sich nie verbrennen und ihre Asche verstreuen lassen. Sie hat einen Ausweg gesucht.«
    »Vielleicht nicht ganz genau diesen, was?«
    »Sie wusste, dass sie sterben würde. Das sagte sie mir.«
    »Setz dich nur, ich schenke dir ein.«
    Jhereds aufkeimende Hoffnung, dass Herine in die Gegenwart zurückkehrte, erstarb wieder. Ihre Stimme klang unbeteiligt, wie aus weiter Ferne. Er ließ sie ungern zurück, aber es gab keine andere Möglichkeit. So füllte er ihren Kelch und reichte ihn ihr. Sie hätte ihn beinahe fallen lassen, doch er legte beide Hände darum. Sie hielt sich verzweifelt daran fest.
    »Damit ist sie uns schon wieder entkommen, was?«
    »In gewisser Weise schon.«

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