Die letzte Schlacht
noch Hörner verkündeten den ersten Tag des Genasab. Keine Feiern gab es, keine Gebete und kein Fest. Die Bärenkrallen und Tsardonier halfen einander, so schnell wie möglich voranzukommen, und doch holten die Toten weiter auf.
Zuerst hatten sie neue Hoffnung geschöpft, als ihre Späher berichtet hatten, dass sich das Heer der Toten aufgeteilt und die Marschrichtung gewechselt habe. Doch die Erleichterung währte nicht lange. Dieselben Späher berichteten auch, wie die Toten Hasfort eingenommen, die Geschütze gestohlen und ihre Reihen weiter verstärkt hatten. Kell hatte ihre erschöpfte Legion und die ehemaligen Gefangenen eine Weile rasten lassen. Sie musste die Feinde beobachten und im Grunde sogar angreifen, jedoch bestand keinerlei Aussicht, sie zu besiegen. Verluste unter den Zivilisten waren unvermeidlich, solange es ihnen nicht gelang, eine stabile Verteidigung einzurichten und die Toten aufzuhalten.
Nach dem Überfall auf Hasfort hatten die Toten sich nach Süden und Osten gewandt und waren auf den Weg zurückgekehrt, der sie letzten Endes nach Süden zur Westseite der Kaldeberge und in die Nähe der Gawberge führen würde. Außerdem marschierten sie jetzt schneller. Nicht sehr viel schneller, aber das war auch nicht nötig. Die Toten mussten nicht rasten und hielten kaum einmal an, während vor ihnen die Lebenden vor Erschöpfung zusammenbrachen.
Aus zwölf Meilen Abstand waren zehn, dann acht und dann fünf geworden. Inzwischen waren es kaum noch zwei Meilen. Da sie noch zehn Tage marschieren mussten, bis sie die zweifelhafte Sicherheit der Grenzbefestigungen von Neratharn erreichten, die berühmte Juwelenmauer, würden die Toten sie vorher einholen. Genau wie der humpelnde Ruthrar lief Kell neben ihrem Pferd. Beide hatten ihre Tiere schwer verletzten Kämpfern überlassen. Niemand sollte zurückbleiben.
Inzwischen hatten sie alle Blasen an den Füßen, ihre Beine brannten und schmerzten. Sie hätten mindestens fünf Tage Ruhe gebraucht, um sich zu erholen, doch so viel Zeit hatten sie nicht. Der Gedanke an die vorrückenden Toten hielt jeden Legionär auf den Beinen, wie schwer er auch verletzt sein mochte. Ihr größter Antrieb war die Angst. Inzwischen ließen sie aber auch schon die Pferde im Stich.
»Hätten wir etwas anderes tun können?«, überlegte Kell. »Vom Weg abweichen, sie nach Neratharn ziehen lassen? Hätten wir sie in Hasfort angreifen sollen? Seht nur die Geschütze, die sie jetzt haben.«
»Nein«, widersprach Ruthrar. »So dürft Ihr nicht denken. Ein Angriff in Hasfort wäre Selbstmord gewesen. Sie hetzen uns, Dina. Davon sind wir alle überzeugt. Deshalb führen wir sie besser zu einem Heer statt zu schutzlosen Orten weiter im Süden.«
Kell nickte. »Ich weiß, Ihr habt recht.«
»Dennoch können wir ihnen nicht entkommen.«
»Es ist lächerlich, oder?«, sagte Kell. »Die Toten schaffen nicht mehr als zwei Meilen pro Stunde, und doch kommen sie uns immer näher.«
Ruthrar zuckte bei jedem Schritt zusammen. »Vielleicht sind sie nicht einmal so schnell. Aber damit kommen sie immer noch auf vierzig Meilen pro Tag. Kein Mensch und kein Pferd kann das lange durchhalten. Wir haben schon mehr erreicht, als ich überhaupt erwartet hätte.«
»Dennoch wird es nicht genug sein. Wir werden es nicht bis Neratharn schaffen, wenn es so weitergeht. In zwei oder spätestens drei Tagen haben sie uns eingeholt.«
»Wie nahe sind sie jetzt?«
»Spielt das noch eine Rolle?«
»Aber natürlich«, sagte Ruthrar. »Denn einige von uns müssen bis zur Grenze gelangen, um mit meinem König und Euren Offizieren zu reden. Eure Kavallerie sollte vorausreiten und sich weit genug entfernen, solange ihre Pferde sie noch tragen. Sie können auch einen anderen Weg einschlagen.«
»Sollen sie uns hier zurücklassen, damit wir sterben?«
»Das ist Eurer nicht würdig, General.«
Kell bekam Schuldgefühle. »Tut mir leid. Aber seht doch, was aus uns geworden ist. Ich bin stolz, ein Teil davon zu sein. Vor zwanzig Tagen hätten wir uns noch auf der Stelle gegenseitig getötet. Jetzt stützen Tsardonier die Estoreaner, weil wir ein gemeinsames Ziel vor Augen haben und gemeinsam stärker sind. Wenn wir aber unsere Kräfte aufteilen, verlieren wir diesen Vorteil wieder.«
»Ich glaube nicht«, widersprach Ruthrar. »Es wird eine Prüfung, aber Ihr werdet sehen, dass alle, die hier laufen und reiten, genau wissen, was auf dem Spiel steht, falls wir Neratharn nicht beizeiten erreichen und meinen
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