Die letzte Schlacht
mussten. Jetzt sollten sie die Gelegenheit bekommen, wenigstens in kleinem Rahmen Rache zu üben.
»Ihr wisst, was auf uns zukommt. Sie werden uns überrollen, wenn wir uns in einer Linie vor ihnen aufstellen. Also kommt das nicht infrage. Wir werden die Toten vor eine schwierige Aufgabe stellen. Uns ist bekannt, dass sie im Tod so kämpfen, wie sie es im Leben getan haben: diszipliniert und in ordentlichen Reihen. Also werden wir uns auf kleine Scharmützel verlegen. Dringt in ihre Reihen ein, zielt auf ihre Geschütze und Wagen. Richtet so viel Schaden an, wie ihr nur könnt. Haltet sie auf, und sei es nur für eine kurze Zeit. Bringt diejenigen, die sie antreiben, zum Nachdenken. Verwirrt die Toten selbst. Denn wir haben gesehen, dass dies möglich ist. Ruft die Namen der Toten, die ihr erkennt. Und versucht nicht, wie mit Lebenden zu kämpfen, die ihr töten wollt. Macht sie kampfunfähig. Wenn jeder von euch zwei Feinde niederstreckt, bevor er selbst fällt, dann haben wir schon viel erreicht.«
Sie hielt inne. Ruthrar sprach noch, und seine Männer reagierten genauso wie Keils Kämpfer.
»Wir haben alle Angst. Wir fürchten uns davor, als einer von ihnen zu enden. In diesem Augenblick können wir nur hoffen, dass jene, die nach uns kommen, uns eines Tages in die Umarmung Gottes zurückschicken werden. Wir können beten, dass irgendwo in uns die Fähigkeit schlummert, uns zu wehren, falls wir wirklich morgen zu den wandelnden Toten gehören sollten. Ich gehe mit euch in den Tod, aber ich gehe im festen Glauben, dass ich eines Tages vor meinen Freunden stehen werde und die Klinge sinken lasse, statt sie zu erheben. Schwört euch dies und fürchtet euch nicht mehr vor eurem Schicksal. Seid ihr dabei?«
Das Gebrüll, das sich auf dem Hügel erhob, konnten nicht einmal die Toten überhören.
19
859. Zyklus Gottes,
1. Tag des Genasab
W enn Ihr Pavel Nunan seht …«, begann Kell. »Dann werde ich ihm sagen, dass ich neben seiner Frau geritten bin, und dass sie der tapferste, ehrenhafteste Soldat ist, den ich je kennenlernte. Dass er stolz auf sie sein kann und dass Dina Kell als diejenige in die Geschichte eingehen muss, die den ersten Schritt tat, falls zwischen unseren Völkern je Frieden herrschen soll.«
Kell errötete. »Ich wollte eigentlich nur sagen, dass er auf die Kinder aufpassen und darauf achten soll, dass sie nicht in die Legion gehen. Aber Ihr könnt natürlich hinzufügen, was Ihr wollt.«
Ruthrar lachte laut und umarmte sie unvermittelt. Sie konnte nicht anders, als die Umarmung zu erwidern. Als er sie freigab, musste er sich die Augen auswischen. Sie war nicht sicher, ob vor Weinen oder vor Lachen.
»Ich werde nie Eure Bescheidenheit und Euer ruhiges Kommando vergessen. Meine nächstgeborene Tochter wird Euren Namen tragen.«
»Eine so große Ehre verdiene ich nicht«, erwiderte sie. »Nun geht. Die Toten sind schon am Fuß des Hügels, und wir müssen Euch einen Vorsprung verschaffen.«
Er verneigte sich, drehte sich um und befahl seine Reiter zu sich.
»Dolius?«, rief Kell. »Auf ein Wort.«
»General Kell?«
»Passt gut auf ihn auf. Wenn wir dies überleben, was ich doch sehr hoffe, dann braucht die Konkordanz ihn als Verbündeten. Ich bin es leid, gegen die Tsardonier zu kämpfen, Hauptmann. Wenn ich Euch noch etwas auf den Weg geben kann, dann ist es dieser Gedanke. Wir müssen einen neuen Weg beschreiten. Die Konkordanz muss mit diesem Volk Frieden schließen. Denkt nur, was wir gemeinsam erreichen könnten.«
»Es war mir eine Ehre, unter Euch zu dienen.«
»Mein Dank gilt auch Euch, Hauptmann. Macht Euch jetzt auf den Weg.«
Es mochte tiefsinnig oder gar pompös klingen, aber wann konnte man solche Worte sonst sprechen, wenn nicht in den letzten Stunden vor dem Tod? Ihre Armee, vierhundertsiebenunddreißig Tsardonier, Legionäre und Kavalleristen der Konkordanz, sahen den abrückenden Reitern nach, den zwanzig Kämpfern, die Neratharn warnen sollten.
Tatsächlich hatten die Toten inzwischen eine kleine Anhöhe vor dem Hügel erreicht. Nur auf diesem Weg konnte das Heer überhaupt marschieren. Die hundert Pferde und die geschickten Reiter, die sich jetzt im leichten Galopp entfernten, würden Wege benutzen, auf denen die Geschütze ihnen nicht folgen konnten. Kell war zuversichtlich, dass die Toten sie nicht einholen würden.
Als sie das erste Mal gegen die Toten gekämpft hatte, war es dunkel gewesen, und sie hatte wie alle anderen große Angst gehabt. Dieses
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