Die letzte Schoepfung
Ethans Schulter.
»Verdammt, Sydney…« Er sog scharf die Luft ein. »Mach mal halblang!«
»Wie immer hörst du mir nicht zu«, sagte sie mit Nachdruck. »Es wird kein Später geben, jedenfalls nicht für mich. Callie, gib mir einen von den Mullstreifen.«
Das Mädchen gehorchte, und Sydney befestigte den provisorischen Verband. Ihre schnellen, geschickten Hände banden zuerst den einen, dann den zweiten Streifen Mull um Ethans pochenden Arm. »Das wird die Blutung ein wenig stillen, bis du ins Krankenhaus kommst.« Sie tat das Verbandszeug wieder in die Kiste und klappte den Deckel zu. »Zum Glück ist die Kugel glatt durchgegangen. Trotzdem muss die Wunde gesäubert und ordentlich verbunden werden. Ich würde dir vorschlagen, direkt ins Krankenhaus zu fahren, aber das liegt ganz bei dir. Und nun halt an, und lass mich aussteigen!«
Ethan schnaubte ungläubig. Sie hatte immer noch nicht begriffen – ihr Leben war in Gefahr. Er würde sie auf keinen Fall irgendwo absetzen und ihrem Schicksal überlassen. »Vergiss es!«
»Du kannst mich nicht in diesem Wagen festhalten, Ethan.«
»Hör mal, ich kann ja verstehen, dass du aufgeregt bist…«
»Aufgeregt? Man hat auf uns geschossen, und wir haben gesehen, wie zwei Polizisten…« Sie verstummte. Dann senkte sie die Stimme, offenbar mit größter Anstrengung. »Das ist … Irrsinn.«
Ja, dachte er, das trifft es sehr gut. »Pass auf, Sydney, ich erklär es dir später. Jetzt geht es erst mal darum, dass ihr drei so schnell wie möglich aus der Stadt…«
»Wer war der Mann, der geschossen hat?«
Ethan blickte wieder in den Innenspiegel. Ihm gefiel nicht, was er da sah. »Spielt das eine Rolle?«
»Natürlich!«, versetzte sie. »Du hast behauptet, ich wäre in Gefahr, und prompt hat jemand auf uns geschossen. Ich will wissen, wer es war.«
Sydney hatte unter der gefälligen Fassade immer schon ein höllisches Temperament besessen. Meistens hielt sie es sorgfältig unter Verschluss, doch wenn sie mit einer Ungerechtigkeit konfrontiert wurde, brach es aus ihr heraus. Dann wurde sie zu einer Tigerin: kämpferisch, wild und furchtlos. Einst hatte Ethan diesen Charakterzug an ihr geliebt und sie bewundert, wenn der Zorn ihre Gedanken glasklar und ihre Zunge scharf werden ließ. Im Augenblick aber hätte er jemand mit einem friedlicheren Naturell bevorzugt.
»Ich bin nicht ganz sicher, wer es war«, gab er ausweichend zur Antwort.
»Dann rate einfach!«
Das brauchte er nicht; er wusste, wer geschossen hatte. Marco Ramirez. Überraschend war nur Marcos schlechtes Timing gewesen und die Tatsache, dass er nicht getroffen hatte. Er war einer der Besten, doch mit drei anderen Bewaffneten im Raum – Ethan und den beiden Cops – standen selbst Ramirez' Chancen schlecht. Er hätte leicht selbst draufgehen können. Warum also hatte er sich ausgerechnet diesen Moment ausgesucht, um einen Anschlag auf Sydney zu verüben?
»Ethan?«
Bevor er antworten konnte, erregte etwas seine Aufmerksamkeit. Wie es schien, hatten sie nun noch ein anderes, dringenderes Problem. Vielleicht auch zwei. »Nicht jetzt. Wir werden verfolgt.«
»Was?«
»Nicht«, mahnte er, als Sydney und Callie sich umdrehen wollten, um durchs Rückfenster zu schauen. »Danny, guck mal in den Seitenspiegel. Siehst du den Mercedes? Ein dunkelgrauer, ungefähr fünf, sechs Wagen hinter uns.«
Danny reckte den Hals. »Ja, ich sehe ihn.«
»Beobachte ihn, und sag mir, ob er uns folgt.«
»Was hast du denn jetzt vor?«, wollte Sydney wissen. Nun klang sie eher besorgt als wütend.
»Nicht viel.« Ethan bog in die nächste Seitenstraße ein, behielt das gemächliche Tempo bei. »Wir fahren nur einen kleinen Umweg, um zu sehen, ob dieser Spaßvogel wirklich an uns klebt oder ob ich mir das alles nur einbilde. Danny?«
»Er ist auf 'nen Parkplatz gefahren.«
»Gib ihm eine oder zwei Querstraßen Zeit, um wieder aufzuholen. Wenn ich Recht habe, wird er weiterfahren und den Abstand zu uns genau einhalten.«
Der Wagen, der Ethan auf dem Wüstenhighway begegnet war, bevor er Annas Leiche fand, war ein teures ausländisches Gefährt gewesen – so eines wie das, von dem sie jetzt anscheinend verfolgt wurden. Höchstwahrscheinlich saß Ramirez in dem Wagen. Wie schon gestern in der Wüste. Er würde Sydney nicht aus den Augen lassen, und der Mercedes passte gut zu seinem Snobismus. Aber was war mit dem zweiten Wagen, einer Limousine, die ab und zu eine Querstraße hinter ihnen am Rand des Verkehrsstroms
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