Die Letzte Spur
ihren Reichtum so unverhohlen zur Schau stellten, hätte er sie am liebsten mit einem Handkantenschlag erledigt und sich genommen, womit sie so hemmungslos und provozierend protzten.
Aber zweifellos war dies nicht der Moment dafür.
»Im Büro ist niemand«, sagte die Alte, »ich wohne darunter, ich wüsste es. Ich höre jeden Schritt über mir, verstehen Sie? Der Nachteil von so alten Häusern. Die Dielen knarren. Man hat nie seine Ruhe.«
»Meine Güte, das ist aber wirklich ärgerlich«, sagte Pit. »Ich habe sehr wichtige Prozessakten für Mr. Reeve. Er muss sie unbedingt so schnell wie möglich bekommen. Ist denn nicht einmal eine Sekretärin da?«
»Die hat schon seit über einer Woche die Grippe.« Die Alte war gut informiert. Das Misstrauen in ihrem Blick vertiefte sich. »Wo haben Sie denn die Akten?«
»Im Auto«, sagte Pit eilig. »Verdammt schwer zu schleppen. Deshalb wollte ich erst einmal sichergehen, ob jemand da ist.«
Die Alte zuckte mit den Schultern. Schweres, teures Parfüm wehte Pit bei dieser Bewegung entgegen. »Ich kann Sie ins Treppenhaus lassen, und Sie deponieren die Sachen vor der Bürotür«, schlug sie vor.
Das war absolut nicht das, was Pit wollte. Er mimte leises Entsetzen. »Um Gottes willen! Das sind hochbrisante Papiere! Die darf ich Reeve nur persönlich in die Hand drücken, sonst komme ich in Teufels Küche.« Er kratzte sich am Kopf, tat, als überlege er.
»Sie wissen nicht vielleicht, wo Reeve wohnt?«, fragte er. »Dann könnte ich ihm das Zeug schnell vorbeibringen.«
»Natürlich weiß ich, wo Mr. Reeve wohnt«, sagte die alte Dame streng. »Aber ich bin mir nicht sicher, ob ich Ihnen das sagen darf.«
Und ich bin sicher, dass ich ein paar Griffe kenne, da würdest du es mir ganz schnell sagen, du blöde Fotze, dachte Pit.
Resigniert wandte er sich zum Gehen. »Na, dann … kann ich nichts machen«, sagte er leise.
Er war schon an der Straße, als er ihre Stimme wieder hörte. »Warten Sie. Wenn es wirklich so wichtig ist …«
Er drehte sich zu ihr um. »Madam, wenn Mr. Reeve erfährt, dass Sie dafür gesorgt haben, dass er rasch an diese Unterlagen kommt, verleiht er Ihnen einen Orden«, sagte er erleichtert.
Eine halbe Minute später hatte er die Adresse.
Während er schräg gegenüber von Reeves Wohnhaus parkte und wartete, sagte er sich, dass er unter Umständen völlig sinnlos hier herumsaß und die ganze Angelegenheit am Ende ergebnislos würde abbrechen müssen. Er hatte keine Ahnung, ob Reeve überhaupt wieder in London war oder sich nicht noch in Northumberland herumtrieb. Weshalb, beispielsweise, war er an einem gewöhnlichen Montagmorgen nicht in seinem Büro? Die Sekretärin war krank, er hatte jeden Grund, dort die Stellung zu halten. Konnte natürlich auch sein, dass er an einer Gerichtsverhandlung teilnehmen musste und erst später sein Büro aufsuchen würde. In diesem Fall musste er irgendwann abends in seiner Wohnung erscheinen. Wenn er nicht woanders schlief. Hatte der Mirror nicht ziemlich unverblümt behauptet, dass zwischen ihm und dieser Hamilton etwas lief?
Je mehr Pit darüber nachdachte, desto unsicherer wurde er. Die tiefstehende Februarsonne hatte die Straße noch nicht erreicht, es war kalt im Auto. Den Motor laufen zu lassen, wagte Pit nicht, weil er nicht unnötig auffallen wollte. Heutzutage wimmelte es ja überall von diesen furchtbaren Ökoaktivisten, die über jeden in ihren Augen unnötigen Kohlendioxidausstoß total aus dem Häuschen gerieten. Und falls Ron plauderte wie eine aufgezogene Sprechpuppe, wurde er, Pit, womöglich schon mit einem Haftbefehl gesucht. Nicht der Augenblick, wegen einer Umweltsünde ins Visier irgendeines Streifenbeamten zu geraten.
Und wenn er doch nach Northumberland hinauf-bretterte? Sein Hass auf Pamela, seine Angst wegen Rons Festnahme, seine ganze Scheißsituation versorgten ihn mit so viel Adrenalin, dass allein der Gedanke, sich auf die Autobahn zu begeben und das Gaspedal durchzudrücken, berauschend war. Aber er bemühte sich, seine Gefühle unter Kontrolle zu halten. Es hatte keinen Sinn, einfach den Bedürfnissen nachzugeben. Northumberland war groß. Weder Pamela noch Marc Reeve, noch diese Hamilton würde er dort finden.
Hier in London besaß er wenigstens eine Adresse.
Er hauchte warmen Atem in seine klammen Hände, rieb die Finger aneinander. Wenn es nur nicht so kalt wäre! Allein dafür, dass er sich hier den Arsch abfror, hatte Pamela eine ganz besondere Behandlung verdient.
Weitere Kostenlose Bücher