Die Letzte Spur
nicht dagegen wehren. Er wehrte sich nie im Leben.
Sally erschien Fielder noch am unverändertsten, was daran lag, dass sie betrunken war und den Alkohol als einen Schutzwall zwischen sich und die Wirklichkeit gelegt hatte. Sie hatte sich nur insofern verändert, als sie nun seltsamerweise ein hohes, schlankes Sektglas für ihren Schnaps benutzte. Sie schenkte sich mit konzentriertem Gesichtsausdruck nach, wobei sie den Arm mit der anderen Hand abstützen musste, um des Zitterns Herr zu werden. Sie tat, als seien das Glas und die Flasche das einzig Wesentliche in ihrem Leben. Das Einzige, was wirklich zählte.
Wieder saßen sie in der Fielder nun schon vertrauten Küche. Alle hatten sich versammelt, obwohl es mitten am Vormittag war. Die Jungs schienen den Tod ihrer Schwester zum Anlass zu nehmen, vorerst überhaupt nicht mehr zur Schule zu gehen, und auch Angela hatte sich offensichtlich für längere Zeit von ihrer Lehrstelle beurlauben lassen.
Es könnte sein, dass sie jetzt alle auch noch das bisschen Gerüst verlieren, das sie bislang zusammengehalten hat, dachte Fielder, und bei dem Gedanken fühlte er sich plötzlich sehr müde und sehr traurig.
»Haben Sie Neuigkeiten für uns?«, fragte Angela. Sie hatte sich die Haare aus der Stirn gekämmt und keinerlei Schminke aufgelegt. Ihr Aussehen schien sie nicht zu interessieren. »War es der Mann, den Dawn identifiziert hat?«
Fielder schüttelte den Kopf. »Aller Wahrscheinlichkeit nach nicht. Aber die Aussage von Miss Sparks war dennoch von großer Bedeutung. Denn nach allen Erkenntnissen, die wir derzeit haben, steht ein enger Freund von diesem Ron Malikowski unter dringendem Tatverdacht. Pit Wavers. Wissen Sie, ob Linda den Namen irgendwann einmal fallen ließ?«
Alle sahen einander an, außer Sally, die gerade wieder den Balanceakt zwischen Flasche und Sektglas auszuführen versuchte.
»Nein«, sagte Gordon, »den Namen hat sie nie erwähnt. «
»Bestimmt nicht«, versicherte Angela, »daran würde ich mich erinnern. Das Problem war, dass sie eben überhaupt nichts mehr erwähnte im letzten halben Jahr.«
»Wir haben Malikowski vorgestern früh festgenommen«, sagte Fielder, »und nach einigem Hin und Her hat er eine Menge berichtet. Demnach haben sich Pit Wavers und Linda im letzten Sommer kennen gelernt. Malikowski meint, dass Wavers sie in der U-Bahn angesprochen hat, aber so genau wurde das wohl nie besprochen. Ob er sich wirklich in sie verliebt hatte oder ihr solche Gefühle nur vorgaukelte, ist schwer zu sagen. Jedenfalls kehrte er wohl den Mann von Welt heraus, ging mit ihr in tolle Restaurants und machte ihr großzügige Geschenke. Das deckt sich mit Ihrer Beobachtung, dass sie plötzlich teure Kleider trug und irgendwie über ihre persönlichen Verhältnisse zu leben schien. Malikowski sagt, dass Linda sehr rasch in eine Abhängigkeit von Wavers geriet. Sie wollte ihm gefallen, wollte sich unbedingt seine Zuneigung und sein Wohlwollen erhalten. Er sagt, dass dies der typische Ablauf bei allen Beziehungen war, die Wavers einging. Auf irgendeine Weise gelang es ihm immer recht schnell, die Mädchen gefügig zu machen.«
»Das passt gar nicht zu Linda«, sagte Angela tonlos.
Fielder warf ihr einen teilnahmsvollen Blick zu. »Dass sie eigentlich eine willensstarke Persönlichkeit war, wurde ihr vielleicht zum Verhängnis«, sagte er leise. »Malikowski berichtet, dass Wavers' Gefühle für Linda rasch abkühlten und dass er genau das vorhatte, was er mit allen Frauen irgendwann tat: Er wollte sie auf den Strich schicken. Und daran kräftig verdienen.«
Von Gordon kam ein entsetzter Laut. Er stützte den Kopf in beide Hände. »Mein Gott«, flüsterte er.
»Es schien Probleme zu geben, weil sich Linda diesem Ansinnen widersetzte. Malikowski sagt, die beiden hätten ständig Streit miteinander gehabt. Dann fand Wavers heraus, dass Linda ihn belogen hatte, was ihre Lebensumstände anging. Sie hatte wohl behauptet, nur mit ihrer großen Schwester zusammenzuleben, aber schließlich erfuhr Wavers, dass es auch noch Vater, Mutter und drei Brüder gab.
Das machte Linda zum Risiko. Wavers hatte sich bis dahin nur mit jungen Mädchen eingelassen, die aus jeglichem familiären Verbund herausgefallen waren. Malikowski kann nur vermuten, dass Wavers im Zuge einer der nun immer häufiger stattfindenden Auseinandersetzungen die Beherrschung verlor. Das scheint etwas zu sein, was zu ihm passt. Er kann Widerspruch nicht ertragen. Er verliert dann leicht die
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