Die Letzte Spur
nicht auf irgendetwas von draußen geachtet. Fehler über Fehler, dachte er. Wavers konnte noch um das Haus herumlungern, er konnte aber auch das Weite gesucht haben. Sie wussten es nicht. Am besten, sie rechneten mit dem Schlimmsten.
Seine Hand umfasste den Griff der Pistole fester.
»Wir versuchen jetzt, unser Auto zu erreichen«, sagte er. »Wir sind bewaffnet. Er nicht. Das ist unsere Chance.«
Eine Frau, die dicht vor einem Nervenzusammenbruch stand. Ein schwer verletzter Mann, der nicht aus eigener Kraft stehen konnte. Und eine Pistole.
Er wusste, dass ihre Chance sehr klein war.
Dienstag, 19. Februar
Es war nach Mitternacht, als sie die Haustür erreichten. Sie kamen unendlich langsam voran, die wenigen Schritte durch den Flur dauerten eine Ewigkeit. Cedric konnte nur durch den Mund atmen, und jeder Atemzug schmerzte fast unerträglich in seinen Lungen und in den Seiten. Immer wieder musste er stehen bleiben und, nach vorn gebeugt, eine weitere Schmerzattacke über sich ergehen lassen, ehe er weiterkonnte. Er bemühte sich, nicht an das zu denken, was er je über Rippenbrüche gelesen hatte. Es gab Menschen, die stellten erst durch Zufall und Tage nach einem Unfall eine Fraktur fest, weil sie überhaupt nichts gespürt hatten, und andere wurden, so wie er, fast ohnmächtig vor Schmerzen. Häufig hing das damit zusammen, dass die gebrochenen Rippen ein anderes Organ erheblich verletzt hatten. Am gefürchtetsten war eine Perforation der Lunge. Ohne rasche medizinische Hilfe konnte so etwas tödlich verlaufen, und er fragte sich, ob die Tatsache, dass ihm das Atmen so schwerfiel und so qualvoll war, bereits ein Anzeichen für diese schlimmste aller Möglichkeiten darstellte.
Doch dann schob er diesen Gedanken rasch wieder beiseite. Es nützte nichts, sich irgendwelche Gräuel auszumalen. Er musste sich einzig darauf konzentrieren, sich aus diesem Haus und dem gottverlassenen Waldstück herauszuschleppen.
Kämen sie nur schneller voran! Das Übelste war, dass sich Wavers da draußen anhand ihres Schneckentempos unschwer ausrechnen konnte, wie angeschlagen sein Gegner sein musste. Tatsächlich fühlte sich Cedric so schwach und schwindelig, dass er nicht sicher war, ob es ihm im Ernstfall überhaupt noch gelänge, einen Schuss aus der Pistole abzugeben, geschweige denn, den anderen auch noch zu treffen.
Wieder dachte er, was er schon eine knappe Stunde zuvor während der Schlägerei mit Wavers gedacht hatte: Diesen Kampf verliere ich.
Kurz bevor sie die Haustür erreichten, blieb er erneut erschöpft stehen. Er holte Luft und wurde mit einem grausamen Stechen quer durch die Brust bestraft. Als bohrten sich Messer in seinen Körper.
»Zum Teufel, Pamela«, sagte er leise, »wie konnten Sie sich nur je mit diesem Typen einlassen?«
Er konnte sie im Dunkeln nur schattenhaft wahrnehmen, erkannte aber das Glänzen ihrer Augen. Sie schienen weit aufgerissen zu sein. Pamela musste halb wahnsinnig sein vor Angst.
»Er war der erste Mensch in meinem Leben, der mich liebte«, erwiderte sie und setzte dann, als spüre sie sein Staunen, hinzu: »Der erste Mensch, von dem ich zumindest glaubte, dass er mich liebt. In den ersten zwei Jahren hätte ich den Boden geleckt, über den er ging, wenn er es verlangt hätte.«
Die Haustür war angelehnt. Cedric zog sie einen Spalt weit auf und spähte hinaus. Die Nacht war still und fast rabenschwarz hier unter den Bäumen, aber er bezweifelte dennoch, dass die Dunkelheit ausreichen würde, ihn und Pamela ganz unsichtbar zu machen. Zumal sie sich kaum lautlos bewegen konnten, er in seinem erbärmlichen Zustand schon gar nicht. Schattenhaft nahm er ihr Auto wahr. Er hatte gar nicht realisiert, dass es so weit weg geparkt stand, achtlos gute zehn Meter von der Haustür entfernt abgestellt. Unhörbar fluchte er in sich hinein. Nur ein paar Schritte näher, und wie sehr wäre ihnen damit schon geholfen!
Ringsum schweigende Büsche und Bäume. Undurchdringliches Dickicht. Er wäre jede Wette eingegangen, dass Wavers sich dort irgendwo versteckt hielt. Er konnte die Nacht wunderbar als Deckung benutzen.
Er kann natürlich nicht wissen, dass das Telefon nicht geht und dass mein Handy hier keinen Empfang hat, überlegte er, er muss damit rechnen, dass wir längst die Polizei gerufen haben. In diesem Fall wäre es gefährlich für ihn, allzu lange hier zu warten.
Es war wie russisches Roulette. Sie mussten ein hohes Risiko eingehen und hatten keine Ahnung, was geschehen
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