Die Letzte Spur
Clubhaus. Sie stellte fest, dass das Gebäude zu einer Seite hin offen war. Man gelangte dort in eine Art Schuppen, der mit Gerätschaften aller Art sowie großen Schränken vollgestellt war. Eine breite Treppe führte in ein höheres Stockwerk. Vermutlich wurde auch dort oben etliches Segelzubehör aufbewahrt. Eine Tür führte in einen angrenzenden Raum. In der Hoffnung, dass sich die Person, der das Fahrrad draußen gehörte, dort aufhielt, klopfte Rosanna an.
Als sie keine Antwort erhielt, öffnete sie sie einfach und trat ein. Als Erstes schlug ihr der Geruch scharfer Putzmittel entgegen. Sie sah Tische und Stühle, ein paar Bilder von Schiffen an den Wänden und eine große Theke, die voller Gläser und Flaschen war. Dahinter stand eine ältere Frau und schien gerade damit beschäftigt, das Spülbecken zu putzen. Vor der Theke waren ein Putzeimer, ein Staubsauger und mehrere Flaschen verschiedener Reinigungsmittel.
»Guten Morgen«, rief Rosanna. Ihre Stimme klang etwas krächzend.
Die Frau hinter der Theke zuckte zusammen. »Gott, haben Sie mich erschreckt«, sagte sie vorwurfsvoll, »um die Zeit erwartet man hier niemanden!«
»Tut mir leid. Ich hatte angeklopft.«
»Ich war in Gedanken. Was gibt's denn?« Die Frau sah sie argwöhnisch an.
Rosanna trat näher, wobei sie bemerkte, dass der Fußboden frisch gewischt war und dass sie ihn soeben mit erdigen Fußabdrücken versah. Eine zweifellos gute Voraussetzung, die ohnehin mürrische Frau am Ausschank freundlich zu stimmen.
»Mein Name ist Rosanna Hamilton. Ich bin eine alte Freundin von Jacqueline Reeve.«
»Aha. Und was wollen Sie dann hier?«
Rosanna versuchte möglichst unbefangen zu lächeln. »Jacqueline und ich sind gemeinsam zur Schule gegangen, aber dann habe ich jahrelang im Ausland gelebt. Nun würde ich sie gern ausfindig machen. Sie ist ja geschieden inzwischen…«
»Wer ist heute nicht geschieden?«, erwiderte die Frau brummig. »Meiner ist schon vor neun Jahren abgehauen. Hat sich einfach abgeseilt. Meinen Sie, ich müsste sonst hier putzen? Aber das Geld reicht vorn und hinten nicht. Ist ja auch alles teurer geworden.«
»Das stimmt. Man hat es nicht leicht heutzutage.«
»Die haben hier gestern Abend groß gefeiert. War ein ganz schönes Chaos, als ich heute früh kam. Einer hatte Geburtstag. Ich war auch da. Ich gehöre natürlich nicht zu dem feinen Club, aber ich mach den Ausschank bei solchen Gelegenheiten. Bringt ein paar Pfund extra.«
»Sie müssen wirklich viel arbeiten«, meinte Rosanna mitfühlend und zerbrach sich dabei den Kopf, wie sie auf Jacquelines Boot und einen Januartag fünf Jahre zuvor zu sprechen kommen sollte. War allerdings wahrscheinlich sowieso zwecklos. Wer erinnerte sich an irgendetwas, das so lange zurücklag und dabei nicht spektakulär gewesen war?
»Um diese Jahreszeit kann ich mich eigentlich nicht beklagen. Ist nicht viel los. Mal ein Geburtstag oder Stammtisch am Sonntag. Im Sommer ist hier jeden Abend volles Haus. Und an den Wochenenden grillen die draußen über dem Wasser. Wenn man Geld hat, kann man sich eben ein schönes Leben machen.«
Rosanna pflichtete ihr bei. Sie fügte hinzu: »Wissen Sie, wegen Jacqueline …«
»Also, die werden Sie hier nicht mehr antreffen. Die ist schon seit Jahren nicht mehr im Club.«
»Nein?« Rosanna war völlig überrascht. Nicht einmal Marc schien das gewusst zu haben. »Das war doch ihr zweites Zuhause hier!«
»Tja, verstanden hat das niemand hier so richtig. Vielleicht hing es mit ihrem Sohn zusammen. Jungs in der Pubertät kosten viel Kraft. War wohl alles am Ende 'ne Zeitfrage, könnte ich mir denken.«
»Und das Schiff?«, fragte Rosanna.
Die andere machte eine unbestimmte Handbewegung in Richtung Fenster. »Die Heaven's Gate . Liegt noch da draußen. Sie hat den Kahn an einen hier aus dem Club verkauft. Der war ganz scharf auf das Schiff.«
»Wann genau war das?«
»O Gott, wie genau wollen Sie das denn wissen? Ist schon 'ne ganze Zeit her.«
»Ungefähr. Das Jahr. Der Monat?«
Die Frau schien zumindest wirklich bemüht, sich zu erinnern. »Warten Sie … ich meine, das war nicht lange, nachdem meine Tochter das Baby bekommen hat …«
» Und das war …?«
»Im November 2002. Am 30. November, um genau zu sein. Mein erstes Enkelkind.«
»Wie schön! Könnte der Verkauf des Schiffs im Januar gewesen sein? 2003?« Rosanna vibrierte vor Aufregung.
»Also, ich meine schon, das wäre im neuen Jahr gewesen. Januar oder Februar. Später
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