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Die Letzte Spur

Die Letzte Spur

Titel: Die Letzte Spur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Link
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denen sie versuchte, eine Beziehung zu ihm aufzubauen, erzählt, dass sie nicht kochen konnte und es auch höchst ungern tat, und deshalb hatte es ihm Freude bereitet, sie an den Herd zu scheuchen, aber als sie dann beide vor ihren Tellern saßen, begriff er, dass er sich ins eigene Fleisch geschnitten hatte: Ein faderes, geschmackloseres Essen hatte man ihm selten vorgesetzt. Er fragte sich, ob Marina schon einmal etwas von Salz und Pfeffer und deren Verwendungszweck gehört hatte. Insgeheim sehnte er sich nun nach einer saftigen Pizza mit allem Drum und Dran und viel Käse im Rand eingerollt und ärgerte sich heftig über sich selbst.
    Deshalb die Frage nach der Trennung. Er musste sich irgendwie ein Ventil schaffen.
    Marina hielt mitten in der Bewegung, mit der sie eine Gabel zum Mund führen wollte, inne. Er beobachtete sie genau und sah, dass sich ihre Pupillen ein wenig vergrößerten. Langsam führte sie die Gabel zum Teller zurück, legte sie dort ab.
    »Vielleicht ist es gut, wenn wir darüber sprechen«, sagte sie schließlich.
    Er sah sie abwartend an. Er hatte gehofft, dass sie zittern oder vielleicht sogar heulen würde, aber sie hatte sich recht gut im Griff.
    »Es war nicht so, dass ich dich nicht haben wollte, Robbi. Ich …«
    Sie hatte ihn noch nie zuvor Robbi genannt, und auf Anhieb konnte er diesen Namen nicht leiden. »Ich heiße Robert. Oder Rob!«
    »Okay. Rob. Damals nannte ich dich eben so. Robbi.«
    »Die Phase kann kaum so lange gedauert haben, dass du dich jetzt nicht umgewöhnen könntest! Soviel ich weiß, hattest du nach vier Wochen genug von mir und bist abgehauen.«
    »Ich habe dich deinem Vater übergeben.«
    »Du bist abgehauen. Ob du mich meinem Vater übergibst oder im Korb vor ein Waisenhaus stellst, bleibt sich doch gleich.«
    »Nicht ganz. Ein Waisenhaus ist ein Waisenhaus. Ein Vater ist ein Vater. Glaub mir, deine Kindheit im Waisenhaus hätte anders ausgesehen als die, die du nun tatsächlich hattest. «
    Sie blieb ruhig. Er spürte so heftige Aggressionen gegen sie, dass er ihr am liebsten den Teller mit dem ungenießbaren Essen ins Gesicht gekippt hätte. In das Gesicht, in dessen Augen er seine eigenen erkannte.
    »Die allermeisten Kinder sind aber bei ihren Müttern!«
    Sie konnte ihm nur recht geben. »Ja. Ich weiß. Aber … ich war so jung. Ich war mitten im Studium. Ich wusste einfach nicht …« Sie hob hilflos die Schultern.
    »Wenn mich nicht alles täuscht, gab's vor siebzehn Jahren schon die Pille. Wenn du auf keinen Fall ein Kind wolltest, warum hast du dann nicht verhütet?«
    »Ich habe die Pille nicht vertragen. Dein Vater und ich … wir versuchten aufzupassen, aber …«
    »Aber dann passierte die Panne. Das Unglück. Die Riesenscheiße. Wie würdest du mich nennen, Mummy ? Panne? Unglück? Riesenscheiße ? Welches Wort gefällt dir am besten?« Er merkte, dass er leise zitterte. Zu blöd. Sie hätte zittern sollen!
    »Keines dieser Worte gefällt mir«, sagte Marina. »Du warst nichts von all dem. Du warst – und bist –, was alle Kinder sind: ein Geschenk.«
    Wollte sie ihn verarschen?
    »Geschenke behält man aber.«
    »Es gibt wunderschöne Geschenke, die den Empfänger trotzdem zu einem bestimmten Zeitpunkt überfordern.« Sie schob ihren Teller zurück, stand auf. »Ich war überfordert, Rob. Ich war zu unreif für ein Kind. Wenn du einmal selbst ein Kind hast, wirst du begreifen, was ich meine. Kinder sind ungemein fordernd. Babys schreien. Tag und Nacht. Dauernd brauchen sie etwas zu essen und zu trinken. Dauernd müssen sie frisch gewickelt werden. Du wanderst nächtelang mit ihnen auf dem Arm herum und schaukelst sie hin und her und fragst dich, weshalb sie nicht einschlafen. Deine Augen brennen, und du könntest heulen vor Müdigkeit. Du weißt, dass du am nächsten Tag eine wichtige Klausur schreibst. Du weißt, dass du nach dieser durchwachten Nacht im Morgengrauen wirst aufstehen und das Kind zur Tagesmutter bringen müssen, um selbst rechtzeitig in der Uni zu sein. Du weißt, dass du über der Klausur fast einschlafen und dass du sie vergeigen wirst. Du malst dir aus, wie viele Klausuren du vergeigen kannst, ehe sie auf der Uni von dir nichts mehr wissen wollen. Du bekommst Angst um deine Zukunft, und … ach«, sie wischte sich mit einer müden, resignierten Geste über die Augen. »Jede Lebenssituation sieht anders aus«, sagte sie, »meine war eben so.«
    Er erhob sich ebenfalls. Er hatte das Gespräch so kaltblütig begonnen, und nun

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