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Die Letzte Spur

Die Letzte Spur

Titel: Die Letzte Spur Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Charlotte Link
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hatte er schon nach wenigen Minuten weiche Knie, und ihm war schwindelig. Es regte ihn auf, was sie sagte, es regte ihn so maßlos auf.
    »Jetzt bin ich schuld? Weil ich so ein anstrengendes Baby war?«
    »Natürlich nicht. So meinte ich das überhaupt nicht. Es ging mir nur um … eine Erklärung.« Sie hob hilflos beide Hände. »Wahrscheinlich kann jedes Wort, das ich jetzt sage, nur falsch sein. Wollen wir uns nicht setzen, ich mach uns einen Kaffee, und wir versuchen, ohne Stress miteinander …«
    Er unterbrach sie: »Dad hat es doch auch geschafft. Dad war auch mitten im Studium. Er musste auch Klausuren schreiben und Prüfungen bestehen und all das. Er hat trotzdem für mich gesorgt.«
    »Ich weiß. Er war älter, er war verantwortungsbewusster. Er …«
    »… hat mich geliebt. Im Unterschied zu dir.«
    »Ich habe dich auch geliebt. Rob, keine Mutter gibt ihr Kind leichten Herzens her. Das musst du mir glauben. Aber nach so einer Schwangerschaft …«
    Er unterbrach sie erneut. »Jetzt fang nicht mit den Hormonen an, die an allem schuld waren! Meines Wissens sorgen die bei den normalen Frauen nämlich genau dafür, dass sie ihre Kinder lieben und unbedingt beschützen wollen. Das funktioniert bei jeder Katze. Nur nicht bei dir!«
    »Jetzt machst du es dir ziemlich leicht«, sagte Marina, »und ich frage mich, ob du überhaupt ein Gespräch mit mir suchst oder nur deine Wut, die zu empfinden du jedes Recht hast, irgendwie loswerden willst. Dann sollte ich nämlich besser meinen Mund halten. Ich werbe um Verständnis, aber ich habe nicht die geringste Chance, es zu erlangen.«
    Er sah sie höhnisch an. »Hat es sich denn wenigstens gelohnt? Deinen Weg so zielstrebig zu gehen und alles beiseite zu räumen, was hinderlich sein könnte? Bist du heute glücklich? Mit deinem Beruf, mit diesem Haus? Allein? Ohne Mann, ohne Kinder? Das ist es, was du wolltest, oder? Bloß nicht für jemanden sorgen, dich bloß nicht einschränken müssen. Du hast nur übersehen, dass es dann am Ende womöglich auch niemanden gibt, der für dich sorgt. Aber vielleicht verzichtest du ganz locker darauf!«
    Endlich zuckte ihr Mund. Er hatte den wunden Punkt getroffen. Sie war allein, sie war jämmerlich einsam, das war ihm aufgefallen in den letzten Tagen. Kein Hahn krähte nach ihr. Kaum je läutete das Telefon, niemand klingelte, holte sie zu irgendeiner Unternehmung ab. Ihre Abende waren lang und trostlos. Sie zahlte ihren Preis, und das zu sehen, genoss er, genoss er zutiefst.
    »Ich möchte nicht weiter darüber sprechen«, brachte sie hervor. Sie war dicht am Heulen.
    Er stieß seinen Stuhl zurück, griff nach seiner Jacke, die er, um Marina zu ärgern, auf dem Kühlschrank abgelegt hatte.
    »Ich muss hier raus«, sagte er, »ich brauche frische Luft.«
    »Wohin gehst du?«
    »Spazieren.«
    »Rob!« Sie kam um den Tisch herum, wollte nach seinem Arm greifen, aber er wich zurück, als habe sie nach ihm geschlagen.
    »Ich habe eine Mutter«, erklärte er, »und deshalb brauche ich dich zum Glück nicht. Rosanna ist meine Mutter. Sie ist eine tolle Frau. Sie hat alles, was du nicht hast.«
    »Ich bin überzeugt, dass sie ein fantastischer Mensch ist, Rob. Und ich bin sehr froh, dass sie für dich sein kann, was ich nicht konnte. Aber …«
    »Ja?«
    »Ach, nichts.« Warum sollte sie es thematisieren? Dennis hatte ihr erzählt, dass seine Ehe in einer Krise steckte, dass es fraglich war, ob Rosanna zu ihm und Rob zurückkehren werde. An Robs Augen, in denen plötzlich ein Ausdruck fast kindlicher Hilflosigkeit stand, konnte sie sehen, dass auch er gerade wieder daran dachte. Dass er schreckliche Angst hatte.
    Er tat ihr so leid. Dieser große, aggressive, verletzliche Junge dauerte sie so sehr, dass sie am liebsten getan hätte, wozu sie sich nicht hatte durchringen können, als er ein Baby gewesen war: ihn in die Arme nehmen, sacht hin und her schaukeln, ihr Gesicht an seines pressen und ihm zuflüstern, dass alles gut werde. Ihn wiegen, bis er einschlief.
    Was völlig ausgeschlossen war.
    »Wann kommst du wieder?«, fragte sie.
    »Weiß nicht«, sagte er, dann war er aus der Küche, und sie hörte die Haustür knallen. Die eigentümliche, beklemmende Stille, die einer lautstarken Auseinandersetzung folgt, senkte sich über das Haus.
    Tagelang waren sie wie die Katzen umeinander herumgeschlichen. Jetzt war es endlich passiert. Die Bombe war hochgegangen. Vielleicht war das gut so. Es hatte irgendwann passieren müssen.
    Aber es tat

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