Die Letzte Spur
zuckte zusammen. Marina konnte weit aufgerissene Augen über dem Schal erkennen. Augen, in denen Angst stand.
»Was ist passiert, Rosanna?«, rief Rob.
Marina stieg ebenfalls aus.
»Ich bin Marina«, sagte sie und streckte Rosanna die Hand hin, »Robs Mutter. Wir haben telefoniert. Es tut mir leid, dass wir hier einfach aufkreuzen, aber Rob war so ungeduldig, und …«
»Wir müssen hier weg«, unterbrach Rosanna. Ihre Stimme klang krächzend. Marina erkannte jetzt, dass sie heftig erkältet war und offenkundig Fieber hatte.
Nicht gerade der Zustand, in dem man einen Bootsausflug im Februar unternehmen sollte, dachte sie konsterniert.
»Sind Sie ohne Auto hier?«, fragte sie und blickte sich um, als erwarte sie Rosannas Auto irgendwo stehen zu sehen.
Auch Rosanna blickte sich um, nervös, wie es den Anschein hatte.
»Wir sind mit Marcs Auto gekommen. Aber …«
Sie sprach nicht weiter. Marina hatte den Eindruck, dass sie nicht wusste, wie sie eine komplizierte Geschichte in wenigen Worten erzählen sollte.
»Wer ist Marc?«, fragte Rob sofort.
»Euch schickt jedenfalls der Himmel«, sagte Rosanna anstelle einer Antwort. Dann nieste sie. »Ich habe leider eine scheußliche Grippe«, setzte sie hinzu.
Marina nahm ihren Arm. »Sie gehören ins Bett. Nicht auf die Straße, und schon gar nicht in ein Boot. Kommen Sie. Wir fahren erst einmal zu mir nach Hause. Dann können wir über alles sprechen.«
Sie wollte zum Auto zurück. Aber plötzlich zögerte Rosanna.
»Marc ist noch im Yachtclub«, sagte sie, »zumindest glaube ich das.«
»Wer, zum Teufel, ist denn Marc?«, wiederholte Rob seine Frage.
Rosanna strich ihm abwesend über die Haare. »Das alles zu erklären, führt jetzt zu weit. Es ist nur … wir haben uns irgendwie verloren, und ich dachte … aber ich mache mir Sorgen um ihn …« Sie sah Marina an. »Würden Sie mir einen großen Gefallen tun? Und mit mir zum Yachtclub zurückfahren? Ich fühle mich sicherer, wenn Sie und Rob bei mir sind, und ich kann wenigstens noch einmal nach Marc sehen.«
Marina verstand nicht im Mindesten, was los war und worum es genau ging, aber sie hörte die Sorge im Drängen der anderen Frau.
Sie nickte. »In Ordnung.«
Das Auto stand an seiner alten Stelle oben auf dem Parkplatz. Halb und halb hatte Rosanna gehofft, Marc sei inzwischen damit fortgefahren oder sitze wenigstens hinter dem Steuer, aber es sah nicht so aus, als sei er in der Zwischenzeit überhaupt am Parkplatz gewesen. Alles schien leer und verlassen. Noch immer regte sich nichts im Haus des Bootsmanns, und auch unten am Clubhaus oder am Anlegesteg war niemand eingetroffen.
Ich hätte hier ewig sitzen und warten können, dachte Rosanna, aber wo sitzt und wartet Marc? Und worauf?
»Kannst du uns jetzt vielleicht endlich mal erklären, was los ist?«, fragte Rob vom Rücksitz. Gleichzeitig sagte Marina: »Das ist aber einsam hier. Ist das der Wagen Ihres … Bekannten?«
»Ja. Ich frage mich …« Rosanna öffnete die Beifahrertür. Die müssen mich für ziemlich konfus halten, dachte sie, und wahrscheinlich bin ich das auch. Ich hätte zusehen sollen, dass wir alle schleunigst wegkommen.
»Ich verspreche, ich erkläre später alles«, sagte sie hastig. »Aber jetzt gehe ich noch einmal hinunter zum Schiff und sehe nach Marc. Wenn ich in fünfzehn Minuten nicht zurück bin, ruft ihr bitte die Polizei.«
Rob bekam große Augen, und Marina keuchte: »Ach, du lieber Gott!«
Sie ging langsam den Weg hinunter. Zum wievielten Mal an diesem Tag? Sie wusste es nicht, sicher war nur, dass ihr Herz mit jedem Mal schwerer wurde. Es war so viel geschehen, was sie verarbeiten musste. Aber in einem Punkt war sie sich klar geworden, was ihr weiteres Vorgehen anging, sie hatte etwas beschlossen, während sie die endlose Straße entlang durch den Wald stolperte: Sie hatte beschlossen, Marc zu glauben. Zu glauben, dass ein Unfall passiert war mit Elaine, und kein Verbrechen. Und sie hatte begriffen, dass sie damit würde leben können, ihr Wissen für sich zu behalten. Wenn die Polizei nicht über Pamelas Aussage hinter die ganze Geschichte kam, würde sie von ihr jedenfalls nichts erfahren. Es war nicht ihre Aufgabe, Detektiv zu spielen. Es war nicht ihre Aufgabe, den Mann anzuzeigen, den sie liebte. Er musste das erfahren. So schnell wie möglich.
Das Problem war, dass sie vor dem Mann, den sie liebte, in diesem Moment Angst hatte. Womit sie ihm, dessen war sie sich ebenfalls bewusst, womöglich bitter
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