Die Letzte Spur
Brüder nun betont cool gaben. Ihre Art, mit der Verarbeitung zu beginnen. Eine Verarbeitung, die Angelas Ansicht nach keiner von ihnen je zufriedenstellend abschließen würde.
Sie hatte Patricks Computer schon manchmal benutzt. Eigentlich musste sie vorher fragen, aber sie hatte ungestört sein wollen. Zum Glück kannte sie sich aus. Sie gab das für Patrick typische Passwort – Fuck – ein, um ins Internet zu kommen, rief Google auf und trug den Namen ein, um den es ihr ging: Jane French.
Eine Sekunde später hatte sie seitenweise Einträge vorliegen.
Jane French war am 17. November 2002 im Epping Forest gefunden worden. Sie hatte mit dem Kopf in einem kleinen Tümpel gelegen, der sich direkt neben einem Unterstand befand, der zu einem sehr abgelegenen Grillplatz gehörte. Zwei Wanderer, ein älteres Ehepaar, hatten in der Hütte Schutz vor einem plötzlichen Regenguss gesucht, zufällig durch eines der hinteren Fenster geblickt und die tote Frau entdeckt. Bei der gerichtsmedizinischen Untersuchung stellte sich heraus, dass Jane French tagelang dort gelegen haben musste. Im November grillte niemand mehr, und offensichtlich hatte auch sonst niemand seit längerem den Unterstand aufgesucht.
Der Fundort war nicht identisch mit dem Tatort.
Jane French wies heftige Verletzungen im Vaginalbereich auf, sie musste mit einem scharfen Gegenstand, möglicherweise mit einer Glasflasche, vergewaltigt worden sein. Sie hatte Schnittwunden am ganzen Körper und Spuren von Faustschlägen im Gesicht. Mehrere Rippenbrüche und schwere Verletzungen im Unterbauch deuteten darauf hin, dass sie mit Fußtritten traktiert worden war. An all dem war sie jedoch nicht gestorben. Als Todesursache war Tod durch Ertrinken angegeben. Gefesselt und bewusstlos hatte man sie am Rande des Teichs abgelegt, und zwar so, dass sich ihr Gesicht unter Wasser befand.
Angela lehnte sich zurück. Sie merkte, dass sie Kopfschmerzen bekam und dass ihr übel war. Wer tat so etwas mit einer jungen Frau? Folterte und quälte sie auf jede nur denkbare schreckliche Weise und tötete sie schließlich besonders brutal und grausam. War sie von der Bewusstlosigkeit in den Tod geglitten? Oder war sie noch einmal aufgewacht, hatte versucht, sich zur Seite zu rollen, hatte es nicht geschafft und war schließlich zu entkräftet gewesen, den Kopf über der Wasseroberfläche zu halten?
Sie klickte sich weiter durch die Berichte. Jane French war nicht als vermisst gemeldet gewesen, und die Polizei hatte fast zwei Wochen lang im Dunkeln getappt, um wen es sich bei der Toten handelte. Dann hatte sich endlich eine Freundin von ihr gemeldet, die sie auf dem Zeitungsfoto zu erkennen geglaubt hatte. Die Freundin, eine drogensüchtige Prostituierte, hatte lange mit sich gerungen, ob sie die Polizei anrufen sollte, da sie wohl selbst jede Menge Dreck am Stecken hatte und den Kontakt mit den Gesetzeshütern scheute wie der Teufel das Weihwasser. Zum Glück hatte sie sich schließlich doch überwunden und die Tote zweifelsfrei identifiziert. Sie hatte angegeben, dass Jane French zum Zeitpunkt ihres Todes zwanzig Jahre alt gewesen war. Sie stammte aus Manchester, war mit siebzehn Jahren nach London gekommen. Ihr Vater lebte schon lange nicht mehr, zu ihrer Mutter hatte sie jeden Kontakt abgebrochen, so dass dieser das Verschwinden der Tochter nicht hatte auffallen können. In London hatte sie sich zunächst mit den verschiedensten Gelegenheitsjobs über Wasser zu halten versucht, war aber letztlich auf dem Straßenstrich gelandet. Mit der Freundin hatte sie sich ein Zimmer geteilt. Jane nahm keine Drogen, trank nicht einmal Alkohol und wollte weg von der Prostitution. Sie hatte davon geträumt, jemanden zu finden, der sie heiratete und ihr ein besseres Leben ermöglichte.
»Aber die Kerle, die sie kennen gelernt hat«, wurde die Freundin zitiert, »die waren alle miteinander nichts wert.«
Im März des Jahres 2002 war sie plötzlich nicht mehr in dem gemeinsamen Zimmer aufgetaucht. Sie verschwand ohne jede Vorankündigung. Augenscheinlich hatte sie nur ihre Handtasche dabei – die allerdings später nicht mehr auftauchte – und die Kleider, die sie am Leib trug.
Die Freundin hatte sich darüber nicht allzu sehr gewundert, zumindest nicht aufgeregt.
»Jane erzählte nie viel. Ich dachte, sie hat endlich jemanden kennen gelernt und ist vielleicht bei dem eingezogen. Warum sie nichts mitgenommen hat? Keine Ahnung. Vielleicht wollte sie einfach mit ihrem ganzen alten Leben
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