Die Letzte Spur
Mindesten interessierte. Sie würden in Streit geraten, und sie konnte jetzt nichts ertragen, was ihre Nerven zusätzlich belastete. Sie war angespannt genug wegen der Fernsehsendung am nächsten Tag. Zudem war sie für zehn Uhr mit Marc Reeve in einem Cafe verabredet. Sie wollte sich konzentrieren.
Sie hatte Reeve am Vorabend angerufen, um ihn über die geplante Sendung zu informieren, was sie angesichts seiner Bereitwilligkeit, ihr ein Gespräch zu gewähren, für fair hielt. Wie sich herausstellte, wusste er schon Bescheid und wirkte ziemlich deprimiert.
»Die haben bei mir auch angerufen«, hatte er erklärt, »und wollten mich einladen. Ich habe abgesagt, weil das nur bedeuten würde, dass mein Gesicht wieder allen ins Gedächtnis gerufen wird. Es reicht, dass der Fall gründlich aufgewirbelt wird. Und ich hatte schon gedacht, die Sache sei endlich ausgestanden.«
»Es tut mir sehr leid, Mr. Reeve. Die Geschichte bekommt mehr Publicity, als ich selbst geahnt habe. Ich kann leider meine Teilnahme an der Sendung nicht absagen. Mein Chefredakteur …«
»Ich weiß. Sie müssen Ihren Job machen. Ich verstehe das wirklich.«
Ihr war ein Einfall gekommen. »Meinen Sie, wir könnten uns vorher noch einmal treffen? Wenn man derart an Ihnen interessiert ist, wird man mich auch auf Ihre Rolle in der ganzen Geschichte ansprechen. Vielleicht sollte ich noch ein bisschen besser vorbereitet sein.«
Er hatte gezögert. Deutlich gezögert. Sie hatte begriffen, dass er ihr noch immer nicht vertraute.
»Es bleibt dabei«, sagte sie, »dass ich nichts schreiben oder sagen werde, was Sie nicht wollen.«
»Schon okay«, sagte er.
Er hatte eingewilligt, sich mit ihr zu treffen, immerhin. Aber für sie war deutlich spürbar, dass er viel lieber gesagt hätte: Lasst mich alle in Ruhe! Verschont mich endlich mit dieser Geschichte! Er war ihr gegenüber schon am ersten Tag ganz offen gewesen: Auf die Gespräche mit ihr ließ er sich nur deshalb ein, weil ihm damit eine Möglichkeit zur Einflussnahme blieb. Er tat es weder gern noch vertrauensvoll.
Eigentlich kam sie sich vor wie ein lästiger kleiner Terrier, der sich kläffend im Hosenbein eines Vorübergehenden festgebissen hatte. Eine Rolle, die ihr nicht im Mindesten behagte, und an diesem Morgen dachte sie plötzlich, dass dieser England-Aufenthalt, der ihre Ehe zum ersten Mal auf eine echte Bewährungsprobe stellte, am Ende sein Gutes hatte: Ihrem Beruf als Journalistin würde sie danach vielleicht nicht mehr nachtrauern. Es gehörte zum Job, sich in die Angelegenheiten anderer einzumischen, und offenbar hatte sich bei ihr im Laufe der Jahre etwas verändert. Sie war sensibler geworden. Sie fühlte sich unwohl dabei. Es schien nicht mehr das zu sein, was zu ihr passte.
Darüber zumindest wird Dennis sich freuen, dachte sie.
Sie saß eine Viertelstunde zu früh in dem vereinbarten Cafe an der Oxford Street, und dieser Umstand verriet ihr etwas über den steigenden Grad ihrer Nervosität. Für gewöhnlich wurde sie nicht von einer derartig heftigen inneren Unruhe vorangetrieben. Um sich zu beschäftigen, machte sie sich ein paar Notizen zu einem der anderen Fälle, von denen sie sich immer wieder ins Gedächtnis rufen musste, dass sie genauso wichtig waren wie Elaines Geschichte. Über das Wochenende, dazu war sie fest entschlossen, würde sie zu einem von ihnen ihren ersten Artikel schreiben. Überhaupt würde sie morgen Abend, nach ihrem Fernsehauftritt, mit Elaine abschließen. Sie würde das Material verwenden, das sie hatte, die Geschichte schreiben und von da an alles ruhen lassen. Fertig. Sie musste zu einem Ende kommen.
Marc Reeve erschien pünktlich auf die Minute. Wieder sah er müde und angestrengt aus, obwohl es noch früh am Tag war. Er wirkte wie jemand, der nachts schlecht schlief. Rosanna hatte sofort ein schlechtes Gewissen, und plötzlich empfand sie auch einen gewissen Ärger auf Nick. Er hatte sie auf Reeve gehetzt. Hätte man den Mann nicht in Ruhe lassen können?
»Warten Sie schon lange?«, fragte Reeve und blickte auf seine Uhr.
Sie schüttelte den Kopf. »Ich war einfach zu früh. Das liegt an meiner Nervosität. Diese Sendung morgen…« Sie sprach den Satz nicht zu Ende, sondern sagte stattdessen: »Danke, dass Sie sich mitten am Tag die Zeit nehmen.«
»Es liegt in meinem Interesse«, erwiderte Reeve. Er setzte sich. »Ich habe eine knappe Stunde für Sie. Meine Sekretärin hat die Grippe, ich bin allein im Büro, und es geht alles ziemlich
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