Die Letzte Spur
nichts mehr zu tun haben. Ich wusste ja, dass sie weg wollte von all dem.«
Laut der verschiedenen Berichte hatte die Polizei nach weiteren Spuren in Janes Umfeld gesucht, war aber kaum fündig geworden. Von den diversen Freiern war niemand mehr aufzutreiben gewesen, erwartungsgemäß hatte sich auch niemand gemeldet. Man hatte sich mit Janes Mutter in Verbindung gesetzt, aber die hatte ihre Tochter seit drei Jahren nicht mehr gesehen und nichts von ihr gehört und konnte nicht die geringste Auskunft geben. Letztlich verfestigte sich der Verdacht, dass Jane French in Ausübung ihres Jobs an einen Psychopathen geraten und arglos in dessen Wagen gestiegen war, das »klassische Berufsrisiko der Prostituierten«, wie eine Zeitung etwas zynisch schrieb. Die Polizei hatte sich auf weitere Morde gefasst gemacht, da man davon ausging, dass ein derart gestörter Täter seinen Durst erneut würde stillen müssen, aber tatsächlich war dann nichts mehr geschehen, das die Handschrift des Falles Jane French getragen hätte. Sie blieb der einzige derartige Fall.
Bis zum 12. Februar 2008. Dem Tag, an dem eine Spaziergängerin die furchtbar zugerichtete Leiche der jungen Linda Biggs im Epping Forest gefunden hatte.
Angela hob den Kopf. Ihre Augen brannten. So intensiv und angestrengt hatte sie auf den Bildschirm gestarrt, dass sie gar nicht gemerkt hatte, wie sich ihr ganzer Körper verspannt hatte. Nun stieß sie unwillkürlich einen leisen Schmerzenslaut aus: Ihre Schultern und ihr Nacken taten bei jeder Bewegung weh.
Sie wusste, dass sie keine Polizeiarbeit leisten konnte, aber sie hatte doch gehofft, etwas zu finden, das als entscheidender Hinweis gelten würde. Irgendeine Gemeinsamkeit zwischen jener unbekannten Jane French und ihrer kleinen Schwester Linda. Etwas, das der Polizei vielleicht nicht auffallen konnte, das sie, die Linda gekannt hatte wie niemand sonst, jedoch auf die richtige Spur führen würde. Bislang hatte sie keine Information gefunden, bei der es sie wie ein Blitz durchzuckt hätte.
Sie starrte wieder auf den Bildschirm.
Worin bestanden Übereinstimmungen?
Beide Frauen waren im Epping Forest gefunden worden, allerdings in völlig verschiedenen Ecken.
Beide Frauen waren auf die gleiche Art – mit einem scharfzackigen Gegenstand – vergewaltigt worden, man hatte sie geschlagen und getreten. Körperflüssigkeit des Täters war nicht zurückgeblieben, was eine Aufklärung erschwerte.
Beide waren am Ende ertrunken.
Ihre Todesumstände wiesen auffallend viele Übereinstimmungen auf.
Was war mit ihren Lebensumständen?
Jane French hatte als Prostituierte gearbeitet. Linda hatte sich – Angela musste es widerwillig vor sich selbst zugeben – wie eine Prostituierte gekleidet. Lag da ein Anhaltspunkt? Fuhr der durchgeknallte Typ auf eine bestimmte Art der Aufmachung ab?
Aber Hunderte liefen so herum. Er hätte nicht über fünf Jahre warten müssen, um sein nächstes Opfer zu finden. Es gab harmlose Schulmädchen, die an den Wochenenden auf eine Weise gekleidet in die Diskotheken strömten, als seien sie in Wahrheit auf den nächstbesten Freier aus.
Oder hatte Gordon, ohne das wirklich zu wissen, recht gehabt, wenn er Linda so oft als Nutte betitelte? War da ein Zusammenhang mit Lindas im letzten halben Jahr offensichtlich veränderten finanziellen Verhältnissen? Hatte sie heimlich ihre Kasse auf diese ganz spezielle Weise aufgebessert? Und war zufällig an denselben abartigen Verbrecher geraten, der auch Jane auf dem Gewissen hatte?
Blieb die Frage nach der langen Zeit dazwischen. Warum hatte sich der Typ nicht alle paar Monate ein Mädchen vom Straßenstrich geschnappt?
Sie vertiefte sich wieder in die Berichte.
Und wenn es bis zum nächsten Morgen dauerte. Sie würde etwas finden.
Donnerstag, 14. Februar
1
Dennis meldete sich nicht einmal am Valentinstag. Rosanna hatte am Morgen auf einen Anruf gehofft, hatte auch zum Joggen ihr Handy mitgenommen, um gewappnet zu sein, aber aus Gibraltar kam weiterhin nichts als Schweigen.
Es war typisch Dennis. Wenn er beleidigt war, dann war er beleidigt. Das konnte ewig dauern.
Kurz hatte sie erwogen, die Klügere zu sein, nachzugeben und ihn von sich aus zu kontaktieren. Aber dann fürchtete sie die Debatte, die sich daraus ergeben konnte. Da er ihr offensichtlich noch immer grollte, würde er die Gelegenheit sicherlich nutzen, ihr erneut seinen Standpunkt darzulegen, und ihr überdies erklären, dass ihr eigener Standpunkt ihn dabei nicht im
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